Downtown Blues
ungeöffnet auf den Tisch, meine Blicke streifen durch den karg möblierten Raum, ich suche eine Schlafstelle und nichts weiter. So sieht also ein sicheres Haus aus? Ein Tisch, ein paar Klappstühle aus rissigem Plastik, an den Wänden verblichene hellgrüne Farbe, vermischt mit Wasserflecken und Schimmel. Vor den Fenstern geschlossene Rollläden, an der Decke eine flackernde Neonröhre. Wirklich hübsch. Bru und der DA unterhalten sich leise, der Ton ist jetzt versöhnlicher, er schläfert mich ein. Wenn ich wieder klar denken kann, werde ich Brubaker fragen, was er mir so dringend sagen wollte. Commander Nick Berringer, mein Großvater? Denk jetzt nicht darüber nach, Donovan.
»Wir müssen dich von der Straße schaffen«, sagte Bru. »Brannigan schuldet mir noch einen Gefallen, auch wenn er es abstreiten wird.« Das war, nachdem Chan behauptet hatte, dass der ganze Block wegen mir eingeäschert worden sei. »Dahinter steckt StarCraft.« Bru nickte nur abwesend zu dieser ungeheuerlichen Behauptung. »Und hätte ich nicht dein SCom manipuliert, hätten sie dich auch erwischt.« – »Dann mach mir das verdammte Teil ab«, sagte ich und hielt ihm meinen Arm hin. Chan musste passen, hatte den Schüssel nicht dabei. Hätte mir auch nichts genützt, meinte Bru. »Die finden dich auch ohne Peilsender.« Also brachten sie mich in das sichere Haus – ist so sicher, dass nicht mal ich weiß, wo ich bin. Ob ich mich jetzt besser fühle? Nein. Plötzlich fällt mein Name und ich bin hellwach.
»Wir müssen es ihr sagen.« Das ist Bru. »Sie hat ein Recht, die Wahrheit zu erfahren.«
»Wär nett, wenn ich auch mal erfahren könnte, was hier gespielt wird«, schaltet sich Chan ein.
»Wer?«
»Ihr Spürhund.«
»Es sind schon viel zu viele Leute in die Sache verwickelt …«
Chan und ich gleichzeitig: »Ganz meine Meinung. Wie lange soll ich hier noch rumsitzen?« »Welche Sache?«
»… wir müssen den Kreis verkleinern.«
»Bin schon weg.« Chan ist bei der Tür.
»Nein, mein Partner bleibt hier.«
»Dein Partner?« Brubaker sieht verblüfft zu Chan, der selbstbewusst grinsend am Türrahmen lehnt, und wieder zu mir. »Und seit wann ist er dein Partner?«
»Seit ungefähr fünfzig Minuten.« Und zwar genau seit jenem Augenblick, als die Lenkraketen hundert Meter vom Ziel – von mir – entfernt einschlugen. »Neue Schuhe kannst du dir selbst kaufen«, sage ich zu Chan. »Und jetzt will ich endlich wissen, was hier abläuft.«
Brannigan kennt die Wahrheit schon lange, doch Brubaker kam erst in New Frontier dahinter, als er ein paar Files knackte und dabei auf »Unternehmen Capricorn« stieß. Und jetzt erzählen sie es mir, abwechselnd. Wie SpaceCraft die NASA übernahm und das ganze Raumfahrtprogramm buchstäblich auf Eis legte, inklusive der Siedler.
»Es gab im vergangenen Jahrhundert einen Film über eine gefakte Marsmission, Unternehmen Capricorn. Und als die Bosse bei SpaceCraft merkten, dass sich ihre ehrgeizigen Pläne von der Besiedelung des Mars und später des Weltalls aus Kostengründen nie würden umsetzen lassen, zogen sie ihr eigenes Unternehmen Capricorn auf.«
»Und da sie dazu das Einverständnis der Regierung brauchten, lieferten sie auch gleich ein unschlagbares Argument: eine gigantische Genbank zum Nulltarif.«
»Nicht ganz. Immerhin bezahlte die Regierung den Ausbau der Cryoanlagen und deren Unterhalt. Doch die ganze Logistik, angefangen von der Auswahl der potentiellen Siedler, übernahm SpaceCraft.«
»Aber warum?« Chan stellt die Fragen. »Und wo sind diese Anlagen?«
»New Frontier«, sage ich. »Die Montageanlagen für die Raumfähren.«
»Stimmt. Die ganze Bergkette ist ein riesiger unterirdischer Kühlschrank«, bestätigt Bru. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.« Ein schiefes Grinsen. »Vor meiner überstürzten Abreise aus dem Stützpunkt.« Wieder ernst: »Und noch jemand ist dahinter gekommen: zwei Mitarbeiter in der Forschungsabteilung von SpaceCraft, deine Eltern, Cis.«
»Du weißt, wer meine Eltern waren?« Ich flüster, habe Angst, die Frage laut zu stellen, und merke im gleichen Augenblick, wie dumm ich bin. Sagte er nicht, dass der Mars-Commander mein Großvater war? Im selben Moment wird mir die ungeheuerliche Konsequenz dieser Aussage klar. »Es gab nie einen Terroranschlag. SpaceCraft hat meine Eltern ermordet!« Anklagend zeige ich auf Brannigan. »Und die Regierung hat es gedeckt.«
»Ja.« Einfach nur ja. Jemand gibt eine Anweisung, jemand sagt ja, und
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