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Downtown Blues

Downtown Blues

Titel: Downtown Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myra Cakan
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    E.S.: Nein, nein, es geht schon. (Pause)

    – Amanda und Jeb MacClintoque: Wer steht hinter der DCU?, Sting Books, Berkeley, Cal. 2044 – Indiziert: 2044

    Seit sieben Minuten stehe ich vor der Kapelle »Zum blutenden Herzen Leos«, deren ewiges Licht zuckend hellrote Schatten auf den Vorplatz und auf die wartende Menge wirft. Was haben all die Leute hier so früh am Morgen zu suchen? Ich laufe auf und ab, meine Hände umschließen einen dampfenden Becher mit Moccaccino, ich schlürfe die heiße Brühe und zwinge das Koffein in meinen Kopf. Es nützt nichts. Die Müdigkeit lässt sich nicht vertreiben. Nicht mal der Gedanke, dass ich gleich Bru gegenüberstehen werde, hilft. »Komm zum blutenden Herzen, ich warte jeden Morgen zur Frühmesse auf dich«, war die Nachricht auf dem ROM-Chip.
    Fünf Uhr früh in der DWNTN. Genau der Ort, an dem ich sein will. Meine Blicke streifen suchend über die fremden, namenlosen Gesichter. Auf einmal packt mich die Angst. Werde ich ihn überhaupt wiedererkennen?
    »Komm«, sagt eine Stimme hinter mir. Eine bekannte Stimme, der ich folge.
    Und dann sitze ich ihm wieder gegenüber. Diesmal ist es kein Abschied, aber auch kein Wiedersehen. Ein kleines Bistro in der Fünfundsechzigsten Straße – nur zwei Querstraßen vom Demon-Revier –, versteckt zwischen Abbruchhäusern und der Essensausgabestelle des Bezirks. Bru sieht verändert aus. Nach all den Wochen, die er dort draußen unter dem weiten Wüstenhimmel gelebt, Luft geatmet hat, die nicht in den Lungen brennt, wirkt er wie ein distanzierter Besucher. Er ist nicht länger Teil der DWNTN. Ich habe so viele Fragen und schweige. Trinke meinen Moccaccino und tunke trockenes Fladenbrot in Sirup. Er isst nichts, er beobachtet mich nur. Das Schweigen hält an, doch es ist ein behagliches Schweigen. Seltsam, so hatte ich mir unser Treffen nicht vorgestellt.
    »Ich war in New Frontier«, sage ich schließlich und kann den Verdruss in meiner Stimme nicht unterdrücken.
    »Ich musste schnell verschwinden. Tut mir Leid, dass du umsonst da rausgefahren bist.« Er sieht mich mit einem Lächeln an. »Es ist schön, dich zu sehen.« Ja, ich finde es auch schön, will ich sagen. Stattdessen ziehe ich nur an meinen Haaren, und er redet. »Dir geht es also wieder gut. Bist auf dem Weg nach oben – dein erster Prämienfall. Glückwunsch.«
    Ich horche dem Klang der Worte nach. Er klingt aufrichtig, da ist weder Bedauern noch Zynismus. Etwas anderes: Er klingt wie jemand, der über ein früheres Leben spricht. »Du bist nicht mehr bei der C-Force.« Keine Frage, eine Feststellung.
    Er nickt. »Man hat mir eine unbefristete Beurlaubung angeboten und ich habe angenommen.«
    Ich verstehe. Unbefristete Beurlaubung, nur ein anderes Wort für Suspendierung. Bru spielt nicht mehr im selben Team. Meinte Reardon das, als er sagte, Bru wäre schon längst aus dem Spiel? Irgendwie glaube ich, dass noch was anderes dahinter steckt. Vielleicht werde ich ihn eines Tages fragen … Ich fühle mich auf einmal mutlos und enttäuscht. Was habe ich mir von dieser Begegnung versprochen? Es gibt so viel in seinem Leben, seiner Vergangenheit, was uns trennt. Aber waren wir jemals zusammen? Wir sind Verbündete, habe ich zu Reardon gesagt und auf mehr gehofft. Auf ein Gefühl, das so diffus ist wie mein Traum von Wärme und Glück.
    »Du hast mich im Downtown-General besucht.« Plötzlich erinnere ich mich an Chans Bemerkung.
    Er sieht mich überrascht an. »Woher weißt du?« Er gibt sich selbst die Antwort. »Der kleine Eisbrecher hat es dir erzählt. Arbeitet ihr jetzt zusammen?«
    »Er ist mein Spürhund.«
    Er nickt wieder. »Eine gute Wahl, Donovan.«
    Donovan, nicht mehr Cis. Ich werd allmählich richtig kribbelig. Doch das merke ich erst richtig, als Bru über den Tisch langt und meine Hand festhält. Ich habe ein halbes Fladenbrot zerbröselt. Ich schäme mich und bin gleichzeitig wütend auf Bru, weil er mich so verunsichert. Er hält meine Hand immer noch fest. Ich senke den Blick, starre auf sein Handgelenk. Und da sehe ich es, obwohl es fast unsichtbar ist: die Narbe von der Entfernung des Sub-Implantats. Unbefristete Beurlaubung? Sie haben ihn gefeuert!
    Er folgt meinem Blick. »Das haben sie mir schon vor Monaten entfernt, genauso wie die Holo-Tattoos, für diesen Undercover-Job.«
    Natürlich. Wie dumm von mir. Wie konnte ich es vergessen. Stefanito, Aranxa Capistranos Liebhaber, alles im Dienste der City Force. Ich ziehe meine Hand weg.

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