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Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Titel: Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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Eiswürfelgeklingel Zorn und Verzweiflung lauern. Nach einem halben Dutzend Liedern voller sprühendem, geistreichem Zynismus verlor ich allmählich das Interesse, doch dann stimmte er etwas Weiches, Trauriges an. Das Geschnatter der Menge um mich herum war inzwischen ein wenig lauter geworden, und die ersten Klaviertakte wurden übertönt, doch ziemlich bald hielten alle den Mund. Ich übertreibe nicht, man konnte hören, wie Leute hinten im Saal anderen »Pst! « zuzischten, um sie zum Schweigen zu bringen, damit sie das Lied hören konnten, ein wehmütiges Stück über enttäuschte Liebe mit dem Titel »Love for Sale«.
    Ich sah Roxanne an, und in ihren Augen lag dasselbe bittersüße Gefühl, das ich während des Gesangs selbst verspürte. Ich richtete den Blick wieder auf den Sänger, und plötzlich begegnete er meinem Blick – noch zwei Augen, die schon für ein ganzes Leben genug Verluste gesehen hatten. »Old Love, new love, every love but true love.« Gegen Ende flüsterte er fast, und er beendete das Lied mit einem weichen Klavierschnörkel, der in die Dachsparren hinaufschwebte wie Zigarettenqualm. Bevor die Töne vollständig verklangen, stand er vom Klavierhocker auf, trat aus dem Scheinwerferlicht und tauchte in der Menschenmenge unter.
    Im Saal war es einen Augenblick vollkommen still, dann jubelte und pfiff die Meute und verlangte lautstark nach mehr. Doch er kam nicht wieder, und nach einigen Augenblicken tröstete die PA-Anlage uns mit den Andrew Sisters. Ein strammer junger Mann in Unteroffiziersuniform forderte mich zum Tanz auf, und ich folgte ihm. Er grinste mich anzüglich an, um ganz sicherzugehen, dass ich mitbekam, dass er genau wie die Andrew Sisters in Stimmung war. »Mann, die Mädels können singen« , sagte er.
    »Sie sind gut« , sagte ich, »aber der Kerl am Klavier – der war wirklich was Besonderes. Ob er wohl auf Tour bei der Truppe ist?«
    »Der?« Der Unteroffizier schaute mich an, als wäre ich beschränkt. »Nein, der Typ arbeitet hier. Einer von den Eierköpfen. Chemiker oder so. «
    In diesem Augenblick – zumindest erinnere ich mich gern, dass es in diesem Augenblick war – sah ich einen langen Finger, der dem Unteroffizier auf die Schulter klopfte. »Darf ich?« Er war es, der Sänger, und er hatte seine Worte an den Unteroffizier gerichtet, doch sein Lächeln galt mir. Der Unteroffizier wirkte verärgert, aber auch verlegen, als fürchtete er, der Typ hätte gehört, wie er ihn als Eierkopf bezeichnet hatte, oder als hätte er diese Strafe auf sich herabbeschworen, weil er ein undankbarer Zuhörer gewesen war.
    Wir tanzten nur diesen einen Tanz, dann fragte er, ob er mich ins Wohnheim begleiten dürfe. Es waren nur zwei Blocks, doch das reichte mir, um die Sache für mich zu klären. In einem Punkt hatte der Unteroffizier recht gehabt, Novak war Wissenschaftler. Doch in einem anderen Punkt hatte er sich getäuscht – Novak war kein Eierkopf, er war witzig und selbstironisch und eine seltsame Mischung aus Selbstvertrauen und Demut. Er war ein außergewöhnliches Talent und hatte einen Doktortitel in Chemie und in Physik, doch er war überraschend bescheiden. Ich dachte, ich hätte den Jackpot gewonnen, Bill.
    Sechs Wochen später wurden wir in der Kapelle auf dem Hügel getraut. Wir heirateten an demselben Ort, wo Sie und ich gestern seine Asche gesehen haben.
    Ich zog vom Wohnheim in das Haus auf dem Hügel, das Novak als leitendem Wissenschaftler zustand. »Snob-Hügel« nannten ihn alle, selbst diejenigen von uns, die das Glück hatten, dort zu wohnen, denn wir wussten, dass wir es nicht unbedingt verdient hatten, so viel angenehmer zu leben als die Leute unten im Tal. Der Unterschied zwischen dem Hügel und dem Tal war unglaublich – unten zwischen den Wohnheimen, Trailern und Baracken war kein Baum und kein Strauch und nur hier und da mal ein Stück Rasen. Bei nassem Wetter war der Talboden eine einzige Matschgrube, in der die Autos bis zu den Achsen versanken, und wenn man irgendwohin musste, wo es keine erhöhten Bürgersteige gab, sank man so tief ein, dass einem die Schuhe förmlich von den Füßen gesaugt wurden. In heißen, trockenen Perioden war es, als würde man in der Dust Bowl leben – in jedem Winkel und in jeder Ritze war Staub, und wenn man nicht durch ein Taschentuch atmete, hatte man das Gefühl zu ersticken, und das Gesicht war mit rotem Staub überzogen, durch den der Schweiß seine Streifen zog. Oben auf Snob Hill gab es richtige Straßen und

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