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Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Titel: Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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sie zu finden, genau wie es ein wenig Mühe erfordert hatte, ihr Haus zu finden. Sie saß in einem hohen Lehnstuhl, in dem sie förmlich versank. Der Sessel stand an einer Seite eines großen Wohnzimmers, frontal zu einer Wand aus Glas, die auf die Wälder hinter dem Haus hinausging. Der polierte Fußboden erstreckte sich nahtlos über die Fensterwand hinaus auf eine große Terrasse, die zum Teil von einem hohen, breiten Dachüberstand geschützt wurde. Der Dachüberstand war ebenso mit Redwood verkleidet wie die Hauswände. Die architektonischen Elemente und ihre unscharfen Übergänge – der nahtlose Fußboden, die Glaswand und die ungebrochenen Redwoodflächen – sorgten im Zusammenspiel dafür, dass die Grenzen zwischen innen und außen verschwammen, und wäre es in dem sonnendurchfluteten Raum nicht so warm gewesen, wäre es mir schwergefallen zu sagen, ob es ein geschlossener Raum war oder nicht.
    »Sieht aus, als wäre phantastisch immer noch möglich«, sagte ich und trat an ihren Stuhl, »zumindest hier drin. Ich bin’s, Dr. Brockton, Mrs. Novak. Vielen Dank, dass Sie mir erlauben, Sie zu besuchen.«
    »Ihnen erlaube? Ich habe Sie praktisch dazu genötigt. Haben Sie eine Vorstellung, wie selten ich noch Besuch kriege? Fast alle, die ich gekannt habe, sind tot oder liegen im Sterben. Das ist höllisch deprimierend. Ich heiße übrigens seit sechzig Jahren nicht mehr Novak. Novak war vor drei Ehemännern. Jetzt heiße ich Montgomery, und auch Mr. Montgomery hat schon vor einem Weilchen den Löffel abgegeben. Also nennen Sie mich Beatrice, es sei denn, Sie wollen mich daran erinnern, dass ich alt bin, und mich damit verdrießen.«
    »Ich möchte Sie nur sehr ungern verdrießen, Beatrice«, sagte ich.
    »Es wäre auch nicht in Ihrem Interesse«, pflichtete sie mir bei. »Setzen Sie sich und erzählen Sie mir, was Sie wissen möchten. Der Tee müsste noch heiß sein, ich habe ihn vor fünf Minuten aufgegossen.« Auf einem Tisch zwischen den beiden Sesseln stand ein großer Becher, und die Dampfschwaden, die daraus aufstiegen, fingen das schräge Nachmittagslicht ein. Neben dem Becher stand ein kleiner Porzellanteller mit zwei runden, goldenen Keksen. »Das ist schottisches Shortbread«, sagte sie. »Butter, Mehl und Zucker. Wenn Sie es nicht wollen, werfen Sie es für die Vögel raus, denn ich darf es nicht essen.«
    Ich ging auf den Schaukelstuhl zu, hielt jedoch inne, bevor ich mich setzte. »Sie trinken keinen Tee? Soll ich Ihnen etwas anderes holen … Wasser vielleicht?«
    »Wasser? Das verdammte Zeug rühr ich nicht an«, sagte sie. »Zur Cocktailstunde trinke ich einen Wodka.«
    »Wann ist das?«
    »Um fünf«, sagte sie. »Wie spät ist es jetzt?«
    Ich schaute auf meine Uhr und wollte ihr schon sagen, dass es Viertel vor vier war, als mir aufging, dass in ihrer Stimme ein Necken und ein Hauch von Hoffnung gelegen hatten. »Diese Uhr ist keinen Pfifferling wert«, flunkerte ich. »Die braucht einmal in der Woche eine frische Batterie.«
    Sie lachte. »Mein Lieber, Sie sind mir ein ganz Ausgekochter«, sagte sie. »Schade, dass ich nicht vierzig Jahre jünger bin. Dann würde ich dafür sorgen, dass Sie sich hoffnungslos in mich verlieben. Sie sind ein interessanter Bursche, Dr. Brockton.«
    »Nennen Sie mich Bill«, sagte ich, »es sei denn, Sie möchten mich verdrießen.«
    Sie lächelte, dann neigte sie das Gesicht in Richtung Fenster und schloss die Augen. Die tiefstehende Sonne betonte die Falten, die Jahrzehnte voller Lachen und Schmerz geschaffen hatten, doch darunter erkannte ich das glatte Gesicht einer jungen Frau. »Der Sonnenstand sieht mir ganz nach fünf Uhr aus«, sagte sie. »Ziemlich kurz davor jedenfalls. Der Wodka steht im Bücherregal hinter Ihnen. Würden Sie mir zwei Finger breit einschenken, Bill? Im Eisbehälter ist Eis. Trinken Sie ein Glas mit, wenn Sie möchten.«
    »Besser nicht«, sagte ich. »In Ihrer Gegenwart muss ich einen klaren Kopf behalten.« Ich hielt es nicht für notwendig, ihr zu sagen, dass ich keinen Alkohol trank; womöglich würde sie noch denken, ich wäre gegen das Trinken, und das war nicht der Fall. Doch da ich seit Jahren unter der Menière’schen Krankheit litt, hielt ich mich von allem fern, bei dem auch nur im Entferntesten die Gefahr bestand, mir könnte davon schwindlig werden.
    Auf einer Art hüfthohen Theke, die die ganze Länge der hinteren Wand einnahm, standen auf einem silbernen Tablett eine Kristallkaraffe, ein silberner Eisbehälter,

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