Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Stichler
Vom Netzwerk:
kaum konzentrieren konnte. Sie bestellten noch eine Runde ...
    Ohio lächelte und legte sanft seinen Zeigefinger auf den Mund.
    „Das ist Geschichte. Das weiß heute keiner mehr.“
    Sie sah ihn spitzbübisch grinsend an.
    „Doch. Einer weiß es bestimmt noch. Ich kann Heinz fragen. War er dabei? Bestimmt war er dabei.“
    Sie war ein bisschen aufgedreht vom Wein und den Erinnerungen und Dr. Ohio erkannte in ihr immer noch das Mädchen, das sie früher gewesen war. Aber Heinz’ Name ernüchterte ihn schlagartig.
    „Ja, dein Dr. Manstorff war dabei, Frau Dr. Manstorff“, sagte er kalt. „Er war ja immer dabei. Leider. Aber er wird es nicht erzählen. Das hoffe ich wenigstens, wenn er noch einen Funken Ehre im Leib hat.“
    „Entschuldige“, sagte Brigitte leise. „Aber mach jetzt bitte kein Drama daraus, okay?“
    Sie waren immer zu dritt unterwegs gewesen, seit Ohio Brigitte ein Jahr später an der Uni kennengelernt hatte. Alles hatten sie zusammen unternommen, das ganze Programm: Stocherkahnfahrten, Picknick im Schönbuch, die Kneipen in der Altstadt. Sie spazierten hinaus in die Wiesen hinter der Stadt, tranken Most in einer der Gartenwirtschaften. Auf dem Rückweg machten sie halt im „Club Zoo“. Oder sie gingen auf ein Bier in den „Blauen Salon“ und zu Konzerten in den „Club Voltaire“. Für Ohio war das alles neu und spannend, er war aufgekratzt und glücklich. Er kannte so ein Leben nicht, aber er hatte das Gefühl, genau so müsste es sein. Nur eines störte ihn: Es gab sehr selten Gelegenheit für ihn, mit Brigitte allein zu sein. Lange hatte Heinz wie ein fünftes Rad am Wagen an ihnen geklebt. Ohio wusste nicht mehr, wann ihm klar geworden war, dass in Wirklichkeit wohl er das überflüssige Rad gewesen war. Aber es musste lange nach Brigittes Hochzeit mit Heinz Manstorff gewesen sein.
    Das war eine bittere Erkenntnis und trotzdem hatte er nach Jahren angefangen, für sie zu arbeiten, als beide noch Ideale hatten. Sei es aus Enthusiasmus oder aus einem Selbstzerstörungstrieb heraus, Dr. Ohio wusste es nicht und er hatte stets vermieden, einen staubigen Vorhang zurückzuziehen, zu tief in seine dunkle Seite einzudringen.
    Als sie ging, gab sie ihm noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange und er ließ es geschehen. Wie jedes Mal. Dieser Abschiedskuss gab ihm immer eine Ahnung davon, wie es auch hätte sein können. Und er war sich sicher, dass sie keineswegs mehr ganz überzeugt war, damals die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Und er? Er hing schon viel zu lange an ihrem Leben.
    Die Flasche war leer und der gedämpfte gelbe Schein der Stehlampe drang gerade bis zum dunklen Fenster. Weit weg blitzten ab und zu die Signallichter eines Flugzeugs. Ihr Duft hing noch im Zimmer. Dr. Ohio schenkte sich einen großen Whisky ein. War es das, wofür er lebte?

    Die Blätter fallen
wie der Schlag des Schmetterlings
taumeln sie im Wind
    Ohio stellte sich vor die Scheibe des Panoramafensters und betrachtete die sich spiegelnden Konturen seines unbewegten Gesichts, seine dunklen Augenhöhlen. Wieri schwebte in großer Entfernung durch seine Gedanken. Warum war er so wütend geworden? Was konnte diese Verzögerung schon für ihn bedeuten? Ohio fuhr sich durch die Haare und räumte seufzend die Gläser weg. Endlich ins Bett.

4
    Die flinken Schwalben
zeichnen willkürliche Bahnen
in den Horizont
    Es war der zweite schwarze Anzug, den Dr. Ohio besaß. Den ersten hatte er vor über 15 Jahren in Yokohama zur Beerdigung seiner Mutter gekauft. Das war kurz bevor er angefangen hatte, in Brigitte und Heinz Manstorffs Sanatorium zu arbeiten. Den Vertrag hatte er schon unterschrieben, als ihn ein Brief seines Bruders erreichte. Dr. Ohio verschob seinen Arbeitsantritt und flog sofort nach Yokohama, wo ihn sein Bruder abholte. Dort kaufte er sich den Anzug, bevor sie zu den Trauerfeierlichkeiten in ihr Heimatdorf fuhren. Und jetzt hatte er wieder einen schwarzen Anzug gekauft, für die Beerdigung von Carl Höpfner.
    Die Tage zuvor hatte er viel Zeit in Höpfners Bibliothek verbracht und morgen, einen Tag nach der Beerdigung, sollte die Testamentseröffnung sein. Seitdem war Ohio einige Male mit Laudtner in der Bibliothek zusammengetroffen. Sympathischer war ihm der Anwalt nicht geworden und er hatte sich ein bisschen über Höpfner gewundert. Allerdings schien Laudtner alles korrekt abzuwickeln, Ohio konnte ihm keinen Vorwurf machen.
    Der Rechtsanwalt zeigte ihm die Liste der Personen, die zur

Weitere Kostenlose Bücher