Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Stichler
Vom Netzwerk:
erfreut.
    „Warum?“, fragte er verwundert.
    „Vielleicht kommst du ein bisschen mehr raus ... wie soll ich sagen? Du bist zu viel allein. Immer nur die Arbeit ... Ohio, das tut auf Dauer nicht gut. Heinz hat auch schon gesagt ...“
    „Heinz“, unterbrach Ohio sie verächtlich. „Heinz weiß nichts von mir.“
    „Wer weiß schon was von dir? Nicht mal Erika, und die bemüht sich ja wirklich redlich“, sagte Brigitte spöttisch.
    „Was soll das denn nun wieder heißen? Erika ist meine Gehülfin. Sonst gar nichts.“
    „Eben.“ Brigitte lächelte bestätigend und nahm einen Schluck.
    Dr. Ohio erzählte ihr von dem Treffen in der Bibliothek und von der Szene, die Värie Wieri wegen des Schlüssels gemacht hatte.
    „Am Ende war er dann aber lammfromm. Ich weiß nicht, was Laudtner und die Haushälterin zu ihm gesagt haben, aber er hat den Schlüssel rausgerückt.“ Dr. Ohio lachte und zeigte Dr. Manstorff den Schlüssel zu Höpfners Bibliothek.
    „Da müssen ja wahre Schätze begraben sein“, sagte sie nachdenklich und fuhr mit dem Fingernagel an der Kante des Schlüsselbarts entlang.
    „In der Tat. Da gibt es wirklich Schätze. Die Bibliothek hat schon sein Urgroßvater angelegt – und immerhin ist es eine Familie von Buchhändlern. Auch wenn sich Höpfner nicht so sehr fürs Geschäft interessiert hat. Er hat sich immer mehr für einen Privatgelehrten gehalten. Wieri hat zusammen mit ihm über Calvin und seine Auswirkungen gearbeitet. Bis Höpfner das Interesse verloren hat. Wahrscheinlich ist Wieri deshalb so frustriert. Und Höpfners neues Steckenpferd waren dann die Haikus. Das muss für so einen guten Christen wahrscheinlich entsetzlich sein.“
    „Warum? Haikus sind doch nichts Religiöses.“
    „Eben. Diese Abwendung vom Sakralen zum Profanen. Ein schwerer Schlag für den Mann.“
    „Ach, Ohio.“ Brigitte winkte ab. „Du machst dir zu viele Sorgen um andere Leute. Der verkraftet das schon.“
    „Das glaube ich auch. Im Übrigen ist es mein Job, mir Gedanken über andere Leute zu machen. Und deiner auch.“
    Brigitte nickte und lachte.
    „Tja, die Ideale. Wo sind sie hin? Jetzt leite ich mit Heinz eine Besserungsanstalt für alkoholkranke Manager mit Burn-out-Syndrom.“ Dr. Ohio vermeinte, einen bitteren Ton in ihrer Stimme zu hören.
    „Ich bin euer Angestellter. Wieso sollte ich mehr Ideale haben als ihr?“
    „Angestellte können sich so was leisten. Vor allem, wenn sie aus Japan kommen und der Liebe wegen hierbleiben.“ Sie sah ihn aus ihren graugrünen Augen forschend an, aber es war auch eine Wärme in ihrem Blick, die Dr. Ohio hauptsächlich dem Alkohol zuschob. Trotzdem wärmte er.
    „Ach“, sagte er. „Das ist lange her.“
    Draußen war es längst dunkel geworden. Ohio hatte die Stehlampe an der Couch angeknipst und im Vorbeigehen einen Hauch von Brigittes Parfum aufgewirbelt. Es war eine klare, aber kühle Nacht. So als sei es gerade eben erst Frühling geworden, dabei war es schon fast Sommer.
    „Du bist aber nicht gegangen, obwohl du schon oft die Chance dazu gehabt hättest. Du hättest dich ohne weiteres selbstständig machen können mit deinem Ruf. Hast du schon einmal erlebt, dass jemand wegen   mir   aus dem Ausland angereist ist? Ich nicht.“
    Brigitte spielte auf den rotköpfigen britischen Manager an, der unbedingt einen Termin bei Ohio haben wollte. Er zuckte mit den Schultern.
    „So wie die Sache ausgegangen ist, hätte ich schon nach dem ersten Semester wieder gehen sollen. Aber konnte ich das ahnen?“
    Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“
    „Siehst du? Dabei habe ich mich schon bei der Erstsemester-Party unmöglich gemacht. Danach ging überall das Gerücht um‚ ich wäre außer Rand und Band gewesen. ‚Ohio hat sogar die Tischdeko geraucht’, haben sie erzählt. Und Japaner, mit denen man mich verwechseln könnte, waren vor 25 Jahren auf dem Campus eine seltene Rarität. Jeder wusste, wer ich bin.“
    Dr. Manstorff lachte laut.
    „Und? Hat’s gestimmt?“
    Dr. Ohio erinnerte sich an den rauchgeschwängerten Saal und das grelle Licht. Eine Menge Leute waren schon aufgebrochen, aber immer noch standen viele in den Gängen und im Saal des Unigebäudes der medizinischen Fakultät. Er saß mit ein paar anderen Jungs am Tisch und nahm alles nur noch in Bildern einer verwaschenen Videoaufnahme wahr. Auslaufende Farben, stillstehende Bewegungsstriche, die Dinge lebten. Kurze Momente unglaublicher Aufmerksamkeit folgten langen Momenten, in denen er sich

Weitere Kostenlose Bücher