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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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drückte und schluchzte, aber ich war wie aus Holz und weiß es nicht genau. Als ich am nächsten Morgen erwachte, war sie schon fort, und später saß ich, von Gallen umgeben, im Büro und strich langsam und nachdenklich über die Platte meines Schreibtischs, als hätte ich etwas Derartiges noch nie gesehen.
13
    Ich hörte Schritte im Treppenhaus und leises Gemurmel, das lauter wurde, näher kam, und mein erster Gedanke war: Prok, der, ein paar Studenten im Schlepptau, von seinem frühen Seminar zurückkehrte. Ich hatte mich inzwischen gefangen, saß am Schreibtisch, ordnete das Material, das wir in der Fillmore School gesammelt hatten, und gab mich der vertrauten Umarmung der Routine hin. Ich hatte die Bleistifte gespitzt und die Papiere säuberlich gestapelt. Neben meinem Ellbogen stand ein Becher Kaffee und dampfte vor sich hin. Draußen ließ ein Nieselregen die Konturen von Maxwell Hall verschwimmen.
    Es war Proks Stimme, kein Zweifel, eine Art klares Murmeln, das sich über die Nebengeräusche erhob und von einer anderen Stimme begleitet wurde, von einer herzlichen, unerschütterlichen Stimme, die ich sogleich erkannte, und da waren sie auch schon, Prok und Corcoran, und schoben sich durch die Tür. »Morgen, Milk«, rief Prok. »Gut geschlafen?«
    »Morgen, John«, sagte auch Corcoran. Er stand vor Proks Schreibtisch, keine drei Meter von mir entfernt, die Arme in die Seiten gestemmt, und verbreitete Nonchalance: alles in Ordnung, alles in bester Ordnung. »Ich kann euch sagen, es ist schön, wieder dazu- sein. Die Fahrt war entsetzlich, absolut entsetzlich. Und wie war’s bei euch?«
    Einen Augenblick lang wußte ich nicht, was ich sagen sollte. Im Verlauf der vergangenen vier Tage hatte ich eigentlich an nichts anderes gedacht als an Corcoran und was ich zu ihm und er zu mir sagen würde, wie ich ihm begegnen und was diese Sache für uns alle bedeuten würde, jetzt und in Zukunft. »Tja, wir ...« stammelte ich. »Prok kann dir bestimmt ...« Ich machte eine unbestimmte Geste und ließ den Arm sinken, zu schmerzerfüllt, um weiterzusprechen.
Prok saß bereits an seinem Schreibtisch und blätterte in seinen Unterlagen. »Ausgezeichnet«, sagte er. »Hätte gar nicht besser sein können. Wir haben vierzehn Geschichten von Jugendlichen, sehr interessant, sehr bedeutsam, und das hat mich darin bestärkt, daß wir noch mehr brauchen. Stimmt’s, Milk?«
    »Ja«, sagte ich. »Es war ... äh ... eine echte Erfahrung.«
    Corcoran sah mich aufmerksam an. »Ach ja?« sagte er. »Inwiefern?«
Prok hob den Kopf und wartete auf meine Antwort.
»Ich weiß nicht«, sagte ich und griff nach dem Kaffeebecher, um meine Unsicherheit zu verbergen. »Es war ein ... Erwachen ist wohl das richtige Wort. Eine Art Erwachen.«
Corcoran lächelte, lächelte unaufhörlich. Er war so entspannt, daß ich ihn hätte umbringen können, daß ich hätte aufspringen und ihn hier, auf dem Linoleumboden, erwürgen können, ohne auch nur darüber nachzudenken. Ich hatte den Eindruck, daß er meiner Bemerkung nachgehen und um Erläuterung bitten wollte – das war ja doch recht interessant. Vielleicht wollte er sagen: Wie meinst du das? Oder es ins Witzige ziehen: Wie lange hast du denn geschlafen?
Doch Prok kam ihm zuvor. »Gut«, sagte er. »Gut ausgedrückt. Mir ging es ebenso, und dies ist ein neuer Ansatz, dem wir in Zukunft sehr viel mehr Aufmerksamkeit widmen müssen, wenn auch natürlich mit aller gebotenen Vorsicht.« Es trat eine Stille ein, in der wir alle darüber nachdachten, was diese Vorsicht genau beinhaltete, und dann sagte Prok mit seiner aufgeräumtesten Stimme: »Ich muß dir ein paar Briefe diktieren, Milk – Folgebriefe, und nicht nur an die Eltern, sondern auch an die Kinder.« Er sah mich scharf an, als wäre ich im Begriff, Einwände zu machen. »Denn, du verstehst, wir müssen hier absolut offen und korrekt sein, und die Eltern werden die Briefe sehen, die Folgebriefe also, und ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig das ist. Und zwar zu Recht. Ich finde, wenn jemand Umstände auf sich nimmt, um sich als Freund der Forschung zu erweisen, dann stehen wir, ganz gleich, wie alt oder jung derjenige ist, in seiner Schuld, und dem sollten wir bei erster Gelegenheit Rechnung tragen.«
Ich sollte darauf hinweisen, daß das Institut für Sexualforschung damals noch in den Kinderschuhen steckte und wir weder eine Vollzeitsekretärin noch ausreichenden Büroraum hatten, auch wenn Prok, nachdem Corcoran zu uns gestoßen

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