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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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wolle vorbeikommen. Es war ein Samstagmorgen, Iris saß im Supermarkt an der Kasse, Prok hielt seinen Biologiestudenten Vorträge über Gameten und Zygoten oder das Sexleben der Fruchtfliegen oder was weiß ich, Nesträuber, parasitische Wespen, Kuhstare oder Kuckucks. Mac erwartete mich in ihren Wandershorts und einem leichten Pullover an der Tür. »Ich dachte, du möchtest vielleicht einen Spaziergang machen«, sagte sie und sah mir forschend in die Augen.
    Ich sagte nichts, sondern nickte nur, und wir gingen mit leeren Händen die Straße hinunter und zwischen den vertrauten Feldern hindurch zum Wald. Der Frühling in Südindiana war in vollem Gange: Die feuchten schwarzen Furchen boten sich der Sonne dar, auf den Waldlichtungen blühten die Wildblumen, unter den Bäumen roch es nach Schlamm und Gärung, und überall waren Vögel. Und Mücken. Wir schlugen im Gehen nach ihnen und wichen dem einen Schwarm aus, nur um in einen anderen zu geraten. Die Sonne wärmte, doch im Schatten war es kühl, beinahe kalt. Mac gab sich, das muß ich ihr lassen, große Mühe, ein Gespräch in Gang zu halten – wenn Prok es wußte, dann wußte sie es ebenfalls. Wie Corcoran versuchte sie, die Situation zu entschärfen: alles in Ordnung, alles normal, die Erforschung des Sex und seine freie und ungehinderte Ausübung waren unauflöslich miteinander verbunden, und gab es vielleicht irgendeinen Grund zu Beschwerden? Auf einer Lichtung beschien die Sonne einen verwitterten Felsen, und wir machten es uns auf ihm gemütlich.
    Lange Zeit saß ich einfach da, an den Felsen gelehnt, und ließ Mac reden. Sie sagte nicht viel, jedenfalls nicht viel Substantielles, und ich wußte, was sie tat (»Ist das nicht ein Hüttensänger, da drüben, auf dem Zweig über dem Baumstumpf, siehst du? Sie werden immer seltener, seit die Stare sich ausgebreitet haben. Ach, ist dieser Waldgeruch nicht herrlich, besonders um diese Jahreszeit? Ich kann gar nicht genug davon kriegen. Als ich noch ein Mädchen war, acht oder neun – hab ich dir das je erzählt?«), aber es war mir egal, es war ein Schmerzmittel in Form von Konversation, und ich ließ es über mich hinwegziehen. Dankbar. Ich weiß nicht, wie lange das so ging – zehn Minuten, zwanzig –, doch nach einer Weile verstummte sie. Ich schloß die Augen und ließ die Sonne mein Gesicht erforschen. Ich wollte mit Mac schlafen, das war der Grund, warum wir hier waren, aber ich hatte es nicht eilig. Oder vielleicht machte ich mir auch nur etwas vor, vielleicht wollte ich gar nicht mit ihr schlafen.
    Ihre Stimme schien aus dem Nirgendwo zu kommen, aus irgendeinem Winkel in meinem Kopf, und meine blaugeäderten Lider, hinter denen schwebende Körper pulsierend dahintrieben, klappten auf. »John«, sagte sie, »hör zu, ich weiß, wie du dich fühlst. Ich weiß es wirklich. Aber du darfst dich dem nicht hingeben, denn diese Art zu denken – Eifersucht, Vorwürfe, es ist ganz gleich, wie du es nennst – ist falsch. Und zerstörerisch, John. Wirklich.«
    Sie schloß ihre Hand um meine. Das Licht war grell und umflammte sie, als stünde sie am vorderen Rand einer Bühne. Ihre Pupillen waren zu Stecknadelköpfen geschrumpft, und neben ihren Augenwinkeln war ein Strahlenbündel von Falten, als wäre die Haut eingerissen oder mit einem scharfen Werkzeug bearbeitet worden. Sie war alt, sie wurde alt, und die sichtbaren Anzeichen und die plötzliche Erkenntnis bewirkten, daß sich etwas in mir verschob. »Für mich«, sagte sie und senkte die Stimme, »war es anfangs auch nicht leicht, das kann ich dir sagen. Du bist nicht der erste, mußt du wissen. Da war Ralph Voris – hat Prok ihn mal erwähnt?«
    »Ja.«
»Und verschiedene Studenten. Kleine Affären. Sachen mit Frauen.« Ich sagte nichts. Vielleicht wurde ich rot, denn ich dachte an den Tag, an dem ich den Code geknackt und mir Proks Geschichte angesehen hatte. Und Macs.
    »Prok hat einen starken Sexualtrieb, und wenn man so oft und so lange unterwegs ist... Du weißt das nicht. Das war lange vor deiner Zeit – es ist über zehn Jahre her. Er fuhr für drei Monate nach Mexiko, um Gallen zu sammeln. Mit drei gesunden jungen Männern – und er war selbst ein gesunder junger Mann. War ich verletzt? Habe ich mich beklagt? War ich wütend, weil er mich praktisch verlassen hatte? Bin ich heute noch wütend?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Du?«
    Sie ließ meine Hand los, hob beide Arme, strich die Haare und dann die Bluse glatt und setzte sich auf dem

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