Dr. Sex
war, die Verwaltung hatte überreden können, uns einen angrenzenden Seminarraum zu überlassen, so daß wir nun über eine kleine Bürosuite verfügten. Man hatte eine Tür in die Wand gebrochen, und in dem hinzugewonnenen Raum waren nun sowohl Corcorans Tisch als auch die Akten untergebracht, für die wir sonst keinen Platz mehr hatten, sowie die stetig wachsende Fachbibliothek (darunter auch die Erotikasammlung, von der in letzter Zeit so viel Aufhebens gemacht wird). Ja, aus bescheide- nen Anfängen ...
Jedenfalls ... Ich erwähne das alles nur wegen des späteren Geschehens – damit Sie sozusagen dabei sind und eine Vorstellung davon haben, wo jeder von uns sich aufhielt. Das Geplauder war beendet, und Prok war der letzte, der Verzögerungen duldete – er wollte, daß gearbeitet wurde, dafür waren wir hier. Dennoch rührte Corcoran sich nicht vom Fleck. »John«, sagte er leiser, »hast du nachher Zeit, nach Feierabend, meine ich? Damit wir ein bißchen reden können.«
Prok zog eine Augenbraue hoch und musterte uns kurz. »Das wäre ausgezeichnet, Corcoran«, sagte er, »aber ich kann Ihnen versichern, daß ich selbst Sie sehr gern über die Einzelheiten unserer Funde unterrichten werde, wie auch darüber, was wir uns für die Zukunft erhoffen. Faszinierend, wirklich.«
Corcorans Lächeln verblaßte. »Nein, es geht eigentlich um etwas anderes.«
»So?«
Ich spürte, daß mir die Röte ins Gesicht stieg, und starrte in den Kaffeebecher.
»Eine private Angelegenheit«, sagte Corcoran.
Prok zog seine Braue noch ein wenig höher. »So?«
»Es ist eigentlich gar nichts. Bloß eine Sache zwischen Kollegen, stimmt’s, John?«
Was sollte ich sagen? Der Schuß hatte mich zwischen den Schulterblättern erwischt, als ich über die Hochebene galoppierte, und nun wirbelten meine Hufe hilflos durch die Luft. Ich spürte den Pfeilschaft unter dem Brustbein, die heiße, scharfe Spitze. »Klar«, sagte ich. »Oder vielmehr ja. Ja, stimmt.«
Es wird Sie nicht überraschen, daß es mir schwerfiel, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Sosehr ich auch dagegen ankämpfte – ich war meinen Gefühlen ausgeliefert. Ich weiß, das war dumm. Falsch. Anachronistisch. Immer wieder hielt ich mir vor Augen, daß ich Sexualwissenschaftler war, daß ich einen Beruf, eine Zukunft und ganz neue Perspektiven hatte, daß ich mich von all den kleinkarierten, jüdisch-christlichen Zwängen und Beschränkungen, die im Lauf der Jahrhunderte so viel Unheil angerichtet hatten, befreit hatte, doch es half nichts. Ich war verletzt. Ich war eifersüchtig. Ich zeigte Prok und – jenseits der Tür, im großen hinteren Raum – Corcoran mein normales Alltagsgesicht, doch innerlich kochte ich, brannte ich, wild und tobend, vergiftet von der Galle meines eigenen Unvermögens und Versagens, meiner eigenen Sünden, und so sehr ich mich auch bemühte, dieses Bild zu verdrängen, sah ich doch überall die gebeugte, dem Spott preisgegebene Gestalt des Hahnreis aus der Commedia dell’arte. Wenn Corcoran nicht hersah, starrte ich ihn an. Ich studierte die Art, wie er sich am Kinn kratzte oder mit dem Bleistift auf die Schreibunterlage klopfte, als schlüge er den Rhythmus einer privaten Rhapsodie. Töte ihn! schrie eine Stimme in meinem Kopf. Geh hin und töte ihn!
Und dann war Feierabend, und wir drei standen an der Tür zum Büro und unterhielten uns, während Prok den Schlüssel umdrehte und wir noch ein paar Takte über Aspekte des Sex plauderten. Prok hatte Schirm und Galoschen dabei, allerdings keinen Mantel, denn es war mild und er war ohnehin jemand, der alles aushielt, und er machte eine Bemerkung darüber, daß Corcoran und ich uns besser auf die Gegebenheiten des Wetters einstellen müßten (wir trugen nur Sportjacketts und waren beide nicht für Regen gerüstet), und dann wünschte er uns einen guten Abend und entfernte sich durch den Korridor. »Tja«, sagte Corcoran leise und zögernd, »sollen wir ... Sollen wir den Wagen nehmen?«
Ich nickte nur, und wir gingen schweigend zu seinem Cadillac. Kaum hatten wir die Türen zugeschlagen, da startete Corcoran den Motor, das Radio erwachte zum Leben und spielte ein beliebtes Tanzstück, und das war es, was die Wut in mir aufsteigen ließ. Ich mußte den Türgriff umklammern, um nicht etwas zu tun, was ich für den Rest meines Berufslebens bereut hätte.
Corcoran legte den Gang ein, und wir fuhren langsam die Straße hinunter, doch ich war so aufgebracht, daß ich die Bewegung kaum registrierte.
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