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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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hinweisen, daß Prok entgegen dem, was Sie möglicherweise gehört haben – und ich kenne einige der bösartigen und ekelhaften Gerüchte, die von Gegnern des Projekts in die Welt gesetzt wurden, von Menschen, die in allem nur Schmutz sehen –, mit unseren minderjährigen Befragten denkbar einfühlsam, respektvoll und korrekt umging. Wir alle lernten von ihm und versuchten, seine Methoden anzuwenden, doch keiner von uns konnte den Rapport mit Kindern so rasch und mühelos herstellen wie Prok. Es war eine seiner großen Begabungen als Interviewer und als Mensch. Er konnte an das Urinal in der Penn Station treten und sofort das Vertrauen eines Strichjungen auf der Suche nach Kundschaft gewinnen, er konnte durch die Negerviertel von Gary oder Chicago spazieren und sich authentisch ausdrücken, und er konnte auf die offenste, unschuldigste Weise mit Kindern umgehen. Und die sexuellen Geschichten der Kinder waren für unsere Forschung bedeutsam, denn beinahe alle Erwachsenen, die wir nach dem Erwachen ihrer Sexualität befragten, konnten sich nur verschwommen daran erinnern, und wir glaubten, die Mängel der Erinnerung unserer erwachsenen Befragten durch die Erfassung der Daten von Kindern, die ja noch mitten im Erleben steckten, ausgleichen zu können. Es erschien uns sinnvoll. Dennoch gab es natürlich Kritik: Wir besudelten den Geist dieser Kinder, wir brachten sie vom rechten Weg ab und so weiter. Ich kann Ihnen jedoch versichern, daß das absolut nicht der Wahrheit entspricht.
An diesem Tag führte Prok die beiden schönen Kinder mit den großen Augen durch einen imaginären Wald, saß mit ihnen an einem gemütlichen Lagerfeuer und stellte sehr einfühlsam und ganz nebenbei seine Fragen, erst Suzie, während ihre Schwester in einer Ecke spielte, und dann Katie. Ich muß zugeben, daß ich eine Menge lernte. Die Fragen waren vollkommen unschuldig, und dennoch waren die Antworten aufschlußreich. Spielst du öfter mit Mädchen oder mit Jungen? Magst du Jungen? Aber zwischen Jungen und Mädchen gibt es Unterschiede, nicht? Ja? Und welche? Woher weißt du das? Ich saß auf dem Sessel des Direktors, grinste in mich hinein und wechselte, während ich die Antworten notierte, hin und wieder einen Blick mit der Mutter. Ich spürte, wie sich mir neue Möglichkeiten eröffneten. Kinder. Ich hatte nie besonders viel über Kinder nachgedacht. Eigentlich machten sie mich immer unsicher und nervös, ich wußte nichts mit ihnen anzufangen, hatte keinen Zugang zu ihnen, und hier war Prok, einer der hervorragendsten Männer seiner Generation, ein mehrfach ausgezeichneter Wissenschaftler, und führte es mir vor. »Man muß nur mit ihnen reden«, sagte er. »Man muß mit ihnen reden und ihnen zuhören.«
All dieser Sex, und wofür? Für das hier. Für Kinder. An jenem Nachmittag war es wie eine Offenbarung. Meine Gedanken kämpften gegen das unerträgliche Bild von Iris an, die nackt auf meinem Schreibtisch lag, überragt von Corcoran, während piepsige Stimmen Vermutungen und vorsichtige Erwartungen äußerten. Sie kamen und gingen, ein Kind nach dem anderen, schüchtern oder keck, eifrig oder zurückhaltend, und ich stellte fest, daß sich mir die Anfänge einer Perspektive boten. Diese Körperteile, auf die wir uns bei Ginger und ihren Kunden so gewissenhaft konzentriert hatten, die Geschlechtsakte, die körperlichen Vereinigungen, die Fortpflanzungsorgane – das alles diente einem einzigen Zweck: Kinder. Und es sollte noch fünf Jahre dauern, bis John junior geboren wurde.
    Zwei Tage darauf kehrten wir spät in der Nacht nach Bloomington zurück. Wir waren länger geblieben als ursprünglich geplant, weil wir noch ein paar Interviews geführt hatten, die uns in letzter Minute in den Schoß gefallen waren: mit dem Hausmeister der Schule und seinem Bruder, dem die Tankstelle gehörte, sowie mit einem Pfarrer, seiner Frau und seiner siebzehnjährigen Tochter. Ich trat ein, und da saß Iris im Kimono, ihr Lyrikbuch in der Hand, und erwartete mich. »Du hättest nicht auf mich zu warten brauchen«, sagte ich, und sie kam zu mir, sah mich liebevoll an und umarmte mich, und wir standen mitten im Wohnzimmer und wiegten uns hin und her. »Mußt du morgen früh nicht zum Seminar?«
    »Pst«, machte sie, »pst«, und dann gingen wir ins Bett, und ich war wie aus Holz. Wir hatten zwar Geschlechtsverkehr, kaum daß ich meine Kleider ausgezogen hatte, und es kann sein, daß sie dabei zusammenbrach, daß sie weinte, ihren Kopf an meine Brust

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