Dr. Sex
trockenen Laub am Fuß des Felsens zurecht. »Nein«, sagte sie, »ich glaube nicht. Jetzt nicht mehr. Du mußt wissen«, sagte sie und rückte näher heran, so daß ich die Wärme ihrer Hüfte an meiner spürte, »ich liebe ihn, ich liebe ihn mehr als irgendeinen anderen Menschen, und das ist alles, worauf es ankommt.«
Ihre Worte hingen zwischen uns und mit ihnen Prok. Wir beide versuchten, ihn in den Augenblick einzupassen und gleichzeitig auszublenden. Dann beugte ich mich vor und küßte sie, und sie legte die Hände an meine Brust, schob sie unter mein Hemd und strich über die langen Muskeln an meinen Seiten. Wir atmeten gleichzeitig. Dann ließ sie mich los. »Und ich glaube an ihn«, sagte sie, »ich glaube an seine Arbeit und an alles, was er tut – und du ebenfalls. Das weiß ich.«
Als ich Iris an jenem Abend von der Arbeit abholen wollte, war sie nicht da. Ich war pünktlich, es war genau sechs Uhr. Darin war ich inzwischen ziemlich gut – ich hatte, zusammen mit vielen anderen Dingen, Proks Pünktlichkeit übernommen. Die Frau hinter der Theke sagte, Iris sei heute eine halbe Stunde früher gegangen, wegen irgendeines wichtigen Termins. »Vielleicht beim Arzt«, sagte sie nach einem Blick auf mein Gesicht. »Ja, ich glaube, sie hat was von Arzt gesagt.« Was machte es schon, daß es in ganz Indiana keinen Arzt gab, der am Samstag um sechs Uhr Sprechstunde hatte?
Ich ging nach Hause, um zu sehen, ob ich sie irgendwie verpaßt hatte, und brütete bis um sieben vor mich hin. Als die Kirchturmuhr zwei Blocks weiter die volle Stunde schlug, raffte ich mich auf und ging die zehn Blocks bis zum Büro, und diesmal benutzte ich meinen Schlüssel. Ich schaltete das Licht an, und die Schatten flohen in die Ecken. Es war sehr still. Ich blieb einen Augenblick in der Tür stehen, dann ging ich wie unter einem Zwang zu meinem Tisch und untersuchte ihn: Ich beugte mich hinunter und roch daran, ich roch an meinem eigenen Tisch, als könnte ich auf diese Weise irgendwelche Reste vaginaler Sekrete entdecken, als wäre ich ein Spürhund, ein engstirniger, verzweifelter gehörnter Idiot, der sich so sehr erniedrigte, daß er alle landläufigen Maßstäbe der Erniedrigung sprengte, und dann nahm ich mir Corcorans Schreibtisch vor, durchstöberte seine Sachen, sah in die Schubladen, suchte nach etwas, nach irgend etwas, das mir einen Hinweis darauf geben konnte, wer er wirklich war und was er wollte. Wie ich mich fühlte, als ich im beleuchteten Büro den Schreibtisch meines Kollegen durchsuchte, während sich draußen der Himmel über dem Campus verdunkelte und Pärchen Hand in Hand vorbeigingen, zum Tanzen, zum Kino, zum Abendessen? Am Boden zerstört. Ich war am Boden zerstört, doch das war noch nicht das Schlimmste: Es war, als hätte ich Iris irgendwie verraten, als wäre ich der Schuldige. Am stärksten aber war das Gefühl der Unzulänglichkeit – es schmerzt mich heute noch, wenn ich daran zurückdenke.
Unsere Forschungen zeigten, daß etwa sechsundzwanzig Prozent der Frauen und fünfzig Prozent der Männer außerehelichen Geschlechtsverkehr haben – ich selbst habe die Kurve »Kumulatives Vorkommen: Erfahrung im außerehelichen Koitus« auf Seite 320 des Bandes über das sexuelle Verhalten der Frau gezeichnet –, und daraus hatten wir, mit Proks Worten, folgenden Schluß gezogen: »Außerehelicher Koitus hatte für einige Beteiligte eine Anziehungskraft, und zwar wegen der Abwechslung, die ihnen neue und manchmal überlegene Partner brachte.« Genau. Und doch sollte es noch zehn Jahre dauern, bis der Band über das weibliche Sexualverhalten erschien – immerhin hatten wir ja gerade erst begonnen, Daten zu sammeln –, und daher war meine Einschätzung rein intuitiv. Ich war mit Mac zusammengewesen, ihr Geruch war noch an meinen Händen. Aber das war jetzt vollkommen unwichtig. Wichtig war nur Iris. Iris und Corcoran.
Ich ging wieder nach Hause. Es war acht, und sie war noch immer nicht da. Ich schenkte mir einen Drink ein und brütete weiter vor mich hin. Als sie um halb neun nicht aufgetaucht war und nicht einmal angerufen hatte, schrieb ich ein Gedicht oder vielmehr ein paar Zeilen eines Gedichts aus ihrer Anthologie ab, legte das Blatt auf ihr Kopfkissen und machte mich auf den weiten Weg zu Corcoran, um zu sehen, ob sein Wagen vor der Tür stand, ob Licht brannte, ob hinter den Fenstern Bewegung war, eine Silhouette oder so. Es war kalt geworden, und ich sah den Atem in Wolken aus meinem Mund
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