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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Tagebücher abgeschrieben, damit wir ihm die Originale zurückschicken konnten, und natürlich waren wir alle aufgeregt und hatten über gewisse Enthüllungen gesprochen, und sicher, ich hatte, wie so viele Männer, Berufliches und Privates nicht strikt getrennt, aber meine Begeisterung war nicht gespielt, und es kränkte mich, daß Iris das herabwürdigte. Mr. X war eine echte Entdeckung. Ein Juwel. Der Extremfall, der die Norm Lügen straft. Seine Karriere hatte begonnen, als er noch ein Kind war. Seine Großmutter hatte ihn in den heterosexuellen, sein Vater in den homosexuellen Verkehr eingeführt, und er hatte nach und nach mit siebzehn Mitgliedern seiner Familie sexuelle Kontakte. Im Laufe seines Lebens – er war dreiundsechzig – hatte er sexuelle Beziehungen mit sechshundert Jungen und zweihundert Mädchen, darüber hinaus unzählige Male Verkehr mit Erwachsenen beiderlei Geschlechts sowie mit verschiedenen Arten von Tieren. Kein Zweifel, er war ein Sexwunder und besaß Daten – und Erfahrungen –, die uns nützlich sein konnten. Für mich war das alles, was zählte. Iris sah das anders.
»Ja«, sagte sie und wandte sich zu mir, während ich den Teller entgegennahm und unter dem Wasserhahn abspülte, »aber ich unterrichte solche Kinder. Zweitkläßler, John. Sieben Jahre alt. Sie sind wie Welpen, wie Lämmer, so süß und unschuldig, wie man es sich nur vorstellen kann, und das weißt du. Und du hast die Nerven, dich hinzustellen und zu sagen, daß du aufgeregt bist, weil du Gelegenheit hast, mit einem Monster zu sprechen, einem Mann, der solche Kinder sein Leben lang mißbraucht hat. Soll ich mich für dich freuen? Sag schon. Soll ich das gut finden?«
»Ich will ihn ja gar nicht in Schutz nehmen«, sagte ich. »Es ist nur so, daß ich ... daß ich es wichtig finde, das zu dokumentieren, weil es ... weil es zum einen sowieso schon passiert ist und man es eben nicht mehr ändern kann –«
»Nein? Und wenn ihr ihn der Polizei übergeben würdet? Wenn er ins Gefängnis käme? Hm? Das könntest du doch tun. Und Prok ebenfalls.«
»Hör zu«, sagte ich und wich ein wenig zurück – ich stellte den feuchten Teller in das Abtropfgestell und ging auf Abstand zu Iris, bevor der Groll gegen sie in mir aufsteigen konnte –, »das ist nicht das Entscheidende, und das weißt du auch.«
Sie fuhr mit verschränkten Armen herum, und auf ihren Händen glitzerten Seifenblasen. »Wann fährst du?« wollte sie wissen und sah mir in die Augen.
»Übermorgen.«
»Fährt Purvis auch mit?«
Ich nickte.
»Für wie lange? Nicht daß das eine Rolle spielt, denn daß ich Woche um Woche allein bin, ist ja wohl mein Schicksal, oder? ›Wo ist eigentlich Ihr Mann?‹ fragen sie mich. ›Ach, schon wieder beruflich unterwegs? Fehlt er Ihnen nicht?‹ Doch, John, du fehlst mir.«
Ich machte ein langes Gesicht und zuckte die Schultern, um die ganze Sache herunterzuspielen, um zu zeigen, daß ich ihr zuhörte, daß ich mit ihr fühlte, daß das alles aber eben so war, wie es war, und daß ich so schnell wie möglich wieder zurück sein würde, weil auch sie mir fehlte. In Wirklichkeit aber freute ich mich auf diese Reise – nicht wegen Iris natürlich, denn ich liebte sie und wäre ebensogern bei ihr geblieben, sondern weil wir nach Westen, weit nach Westen fahren würden, und bis dahin hatte ich noch nie den Mississippi überquert. »Also, es wird ... Ich fürchte ... Er lebt nämlich ziemlich weit im Westen, in Albuquerque. Also in New Mexico ...« Ich hielt inne. Ich zuckte nochmals die Schultern. »Zwei Wochen«, sagte ich.
»Zwei Wochen?«
»Na ja, wir müssen mit dem Wagen fahren, und ... Ich weiß nicht, es ist eine lange Strecke, ungefähr zweitausendfünfhundert Kilometer. Hin und zurück fast fünftausend.«
»Und was soll ich in der Zwischenzeit machen? Soll ich im Bett liegen und mich – wie nennst du das immer? – stimulieren? Mit dem Finger? Soll ich über meine Orgasmen Buch führen? Wäre das hilfreich?«
»Nein«, sagte ich, »nein, das glaube ich nicht.«
»Was dann? Violet und ich? Sollen wir uns gegenseitig stimulieren? Und das dann in unseren Sex-Tagebüchern beschreiben?«
»Iris.«
»Oder was?« sagte sie. »Was?«
2
    Wenn ich heute eine zeitliche Einordnung versuche, dann glaube ich, daß wir drei – Prok, Corcoran und ich – uns im Sommer 1944 auf die Reise nach Westen machten. Es war heiß, drückend heiß, und es wurde noch heißer, als wir nach Süden fuhren, in Richtung Memphis, und dann auf Schnell-

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