Dr. Sex
und Landstraßen durch Arkansas, Oklahoma, Texas und die blassen, ausgebleichten Berge von New Mexico. Prok kurbelte die Fenster herunter, denn er mochte das Gefühl des Winds auf seiner Haut, und anders wäre diese Hitze ohnehin nicht zu ertragen gewesen, doch das unablässige Brausen machte jede Unterhaltung schwierig und brachte uns in engen Kontakt mit wütenden Wespen, benommenen Faltern und verstümmelten Zikaden, Heuschrecken und ähnlichem Getier. Ich hatte Insekten im Kragen, in den Haaren und in den Falten meines kurzärmligen Hemds. »Wenn man sie wenigstens essen könnte!« rief ich Prok vom Rücksitz zu. Er sagte gerade mit erhobener Stimme, um den Fahrtwind zu übertönen, etwas zu Corcoran, der auf dem Beifahrersitz saß und im Rhythmus einer inneren Musik nickte. Prok hielt inne und sah mich über die Schulter an, »Das kann man!« rief er und drückte aufs Gaspedal.
Felder zogen vorbei, Häuser, Scheunen, Nebengebäude, die einen neuen Anstrich brauchten, Werbetafeln, die zu christlichem Eifer aufriefen oder zum Gebrauch von Schnupf- und Kautabak rieten. Das Land roch nach Gärfutter und frisch ausgebrachtem Mist. Überall gab es Maultiere, schaulustige Rinder und Hühner, die den unwiderstehlichen Drang verspürten, auf die Straße zu rennen. Wir hielten in kleinen Städten an Cafes, starrten auf unsere Teller mit Eiern, Maisgrütze und gebratenem Speck und brachten kaum die Energie auf, die Gabel zum Mund zu heben. Daß wir überlebten, verdankten wir Kannen von gesüßtem Eistee.
Dennoch war es ein Abenteuer, das bis dahin größte Abenteuer meines Lebens. Prok ließ sich über das Kamasutra, schwedische Pornographie, die erotische Kunst im präkolumbianischen Amerika und alle möglichen anderen Themen aus, Corcoran und ich tauschten hin und wieder die Plätze, so daß jeder mal ein Nickerchen machen konnte, während der andere Prok als Publikum diente, und ich hatte das Gefühl, als stünde mir die ganze Welt offen. Ich fuhr mit meinen Kollegen gen Westen, jeder Kilometer brachte neue Eindrücke und Ausblicke – Oklahoma, dachte ich, ich bin in Oklahoma – , und obgleich ich noch keine sechsundzwanzig war, fühlte ich mich wie ein weltgewandter, erfahrener Reisender, wie ein Fremdling, ein unvergleichlicher Entdecker. Andere waren in den Krieg gezogen und erlebten Kameradschaft unter Feuer, doch wir – Kameraden im Dienst der Wissenschaft – waren hier und sahen die Ebenen, die trockenen Flußbetten, die Steppenhexen, die im gleißenden Licht der Morgensonne vor uns davonwirbelten, und die dankbaren Geheimnisse der Nacht.
Wir brauchten acht Tage für die Fahrt. Prok nahm immer wieder eine unwiderstehliche Abzweigung, sammelte aus alter Gewohnheit Gallen und fuhr fünfzehn Kilometer über holprige Feldwege, um unser Zelt am Ufer eines stehenden braunen Gewässers aufzuschlagen, das irgend jemand irgendwann einmal als Fluß bezeichnet hatte. Meine Begeisterung für das Zelten hielt sich, wie gesagt, sehr in Grenzen – bei Corcoran war das noch ausgeprägter –, doch Proks Begeisterung machte das mehr als wett. Er war nicht zu bremsen. Selbst nachdem er vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag am Steuer gesessen hatte (er bestand darauf, selbst zu fahren), sprang er aus dem Wagen, um das Lager aufzuschlagen, Krüppeleichen- oder Mesquiteholz zu sammeln und Pfannkuchen und Eier oder einen Fisch zu braten, den er, während das Feuer zur Glut herunterbrannte, aus irgendeinem versteckten Teich gefischt hatte. Er war unermüdlich, er sorgte für unser Wohl wie ein Pfadfinderführer – oder besser: wie ein großer Bruder – und war dabei gutgelaunt und hochgestimmt, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Er brachte uns die Feinheiten des Holzschnitzens bei, unterhielt uns am Lagerfeuer mit Geschichten von seinen Gallwespen-Expeditionen in die Sierra Madre und sah darüber hinweg, daß wir uns am Inhalt meines Flachmanns und an dem Brandy labten, den Corcoran gegen die Kühle der Nächte mitgenommen hatte, obgleich die Nächte keineswegs kühl waren und Prok nichts für Alkohol übrig hatte, es sei denn als Mittel, um die Zunge seiner Interviewpartner zu lösen.
Wie nicht anders zu erwarten, waren wir oft nackt. Prok war nackt, wenn er kochte, wenn er das Zelt aufschlug, wenn er wanderte, Vögel beobachtete oder schwamm, und er ermunterte uns, es ihm nachzutun. Meine Haut bräunte sich. Meine Muskeln wurden straffer. Und Corcoran, der hellhäutige Corcoran, bekam einen Sonnenbrand nach dem
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