Dr. Sex
als hätte die Anstrengung der Begrüßung sie vollkommen erschöpft. Sie nahm ihre Handtasche auf den Schoß, öffnete sie und begann, nach Zigaretten und Feuerzeug zu kramen, und ich erwartete beinahe, daß sie mir ein silbernes Zigarettenetui anbieten würde, als wäre dies eine Filmszene – William Powell und Myrna Loy oder Lauren Bacall, die sich in Haben und Nichthaben für Humphrey Bogart erwärmt. Sie ließ sich Zeit mit dem Tabakritual, und ich versuchte es mit ein bißchen Konversation – »Ich hab gehört, es soll heute abend noch Regen geben ...« –, doch ich hatte schon einen Ständer, sofort.
»Auch eine?« fragte sie. Ich nahm mir eine Zigarette, und sie beugte sich vor und gab mir Feuer.
Wir saßen da, inhalierten den Rauch und bliesen ihn aus, das Nikotin reiste durch die Arterien und Kapillargefäße wie ein gemeinsames Geheimnis. Ich wußte, was kam – ich hatte es mir seit dem Picknick immer wieder vorgestellt –, doch jetzt, da es soweit war, merkte ich, daß ich unentschlossen und unsicher war.
»Hör zu, John«, sagte sie, »ich muß mit dir sprechen.« Sie legte den Kopf in den Nacken und blies den Rauch aus, genau wie Bacall, und ich spürte, sie war sich ebenso bewußt wie ich, daß wir eine Filmszene spielten. Eine pulsierende Erregung sprang von meinen Augen auf meinen Schwanz über.
»Über Purvis«, sagte sie. »Er ist ein Freigeist, aber das weißt du ja wohl.« Sie sprach leise. Ihre Stimme hatte etwas Sanftes, Beruhigendes, als ginge es um gar nichts, als würden wir uns regelmäßig auf dem kleinen Holzschiff meines Schreibtischs treffen und bei jedem Wetter hinausfahren. »Und ich bin es ebenfalls. Wir sind beide Freigeister. Aber wir sind verheiratet, und das wollen wir auch bleiben.« Eine Pause, ein Drehen der Zigarette zwischen den Fingern, dann der Tic mit den Schultern und Brüsten. »Ich weiß nicht, ob Iris ... Ob ihr das wirklich klar ist.«
»Ja«, sagte ich. »Ich glaube schon. Ich glaube, in der Hinsicht ist alles klar.«
»Denn, um ehrlich zu sein«, fuhr sie fort, als hätte sie mich nicht gehört, »Purvis macht sich Sorgen um sie und Prok ebenfalls. Und darum bin ich hier.«
Ich legte den Bleistift hin. Ich war mir dessen gar nicht bewußt, aber wahrscheinlich tat ich es, damit ich mich an der Tischkante festhalten konnte. Sie war sechs Jahre älter als ich. Sie hatte einen schönen Mund, einen schönen Mund und schöne Zähne und – das war mir vorher nicht aufgefallen – ein wunderschönes Lächeln. Ihre Brauen waren dicht und nicht gezupft, die Brauen einer Italienerin, und sie saß auf der Kante meines Schreibtischs, und wir waren allein im Büro. Motive interessierten mich nicht. Ich war nicht mißtrauisch. Ich dachte nicht an Iris oder Corcoran oder irgendwelche Gegenleistungen, die mir angeboten wurden – ich wollte nichts anderes, als sie ansehen und das sanfte Schnurren ihrer Stimme hören, und es war mir gleichgültig, worum es ging. »Und was meinst du?« sagte ich schließlich.
Sie zuckte ganz leicht die Schultern, beugte sich vor und schnickte die Zigarettenasche in den Papierkorb neben dem Schreibtisch. »Ach, ich weiß nicht«, sagte sie, richtete sich auf und rückte ihre Schultern zurecht. »Was meinst du denn?«
Ich lächelte. Ich war nervös, ich hatte so etwas noch nie getan – Violet Corcoran, die Frau meines Kollegen, die begierigen Augen, der Mund, das Lächeln, ihre gefährliche Figur –, und ich versuchte, ein gewisses oberflächliches Interesse zu zeigen, für den Fall, daß ich sie mißverstanden hatte, daß sie tatsächlich nur gekommen war, um mit mir zu reden, und ich im Begriff war, mich zu blamieren. Jetzt war es an mir, die Schultern zu zucken. »Ich weiß nicht«, sagte ich.
»Weißt du, was ich meine?«
»Nein«, sagte ich und beugte mich vor. Das Lächeln auf meinen Lippen war gefroren.
»Ich meine, wir sollten uns einfach amüsieren.«
In jenem Jahr kam der Sommer mit Paukenschlägen von Gewittern. Iris bestand die Abschlußprüfung mit Auszeichnung und arbeitete ganztags im Supermarkt, bis sie im Herbst als Lehrerin in einer Grundschule anfing. Aus Herbst wurde Winter, aus Winter wurde Frühling, und wir machten weiter wie bisher: Corcoran, Prok und ich sammelten und tabellierten Daten, wir fuhren in dem treuen Buick über Landstraßen zweiter Ordnung und schlaglochübersäte Schnellstraßen, und nur die Benzinrationierung setzte uns Grenzen. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte man aus dem, was Prok sagte oder tat,
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