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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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in seinem Leben nachgegangen war, sowie der Maße eines jeden Penis und einer jeden Klitoris, mit denen er im Lauf seiner langen Karriere persönliche Bekanntschaft gemacht hatte, Fotos von diesen Aktivitäten, auf denen er erst als junger Mann, dann in mittleren Jahren und schließlich in fortgeschrittenem Alter zu sehen war, ein Sortiment Hilfs- und Gleitmittel sowie rätselhafterweise einen Handbohrer mit I2er-Einsatz. Nachdem er Corcoran und mir die Hand geschüttelt hatte, warf Mr. X den Koffer ohne viel Umstände auf das Bett, öffnete die beiden Schlösser und ließ den Inhalt herumgehen, als handelte es sich um Reliquien.
    Die Fotos – es waren hundert oder mehr – hatten die unmittelbarste Wirkung. Ich erinnere mich besonders an eines, auf dem von einem Erwachsenen nur die Hand zu sehen war, die mit riesigen Fingern die Genitalien eines Kleinkinds – eines Jungen mit einer winzigen, an ein Stöckchen gemahnenden Erektion – manipulierte, und der Ausdruck auf dem Gesicht des Kindes, die ins Leere blickenden Augen, die ins Nichts greifenden Hände, der offene Mund, und ich weiß noch, was für ein Gefühl mich überkam: Mir wurde kalt, als stünde ich noch in der Badewanne, unter dem eisigen Wasserstrahl. Ich sah zu Corcoran, dessen Gesicht nichts verriet, und dann zu Prok, der das Foto einen Augenblick betrachtete und dann erklärte, es sei »sehr interessant, wirklich sehr interessant«. Er beugte sich zu mir, deutete auf das betreffende Detail und sagte: »Siehst du, Milk, das ist der eindeutige Beweis für die Existenz einer frühkindlichen Sexualität. Ob es sich hierbei um eine Anomalie handelt oder nicht, muß selbstverständlich noch statistisch abge- klärt werden ...«
    Unser Mr. X, der sich noch immer über den Koffer beugte und darin wühlte wie in einer Schatzkiste, stieß einen leisen Pfiff aus. »Glauben Sie mir«, sagte er, »das ist keine Anomalie.«
    Der Satz hing für eine Sekunde in der Luft, dann sagte Prok: »Und der Bohrer – wofür ist der?«
»Ach, der«, murmelte der kleine Mann und holte das Ding mit einem verträumten Grinsen hervor. Ich mußte unwillkürlich an eine extreme Form von Sadomasochismus denken, an Folter und Entstellung. Mir drehte sich der Magen um. Ich fühlte mich sehr unbehaglich, und ich blickte Prok hilfesuchend an, doch der hatte nur Augen für das Werkzeug in der Hand des Mannes.
Mr. X ließ sich Zeit. Er zuckte die Schultern, sah uns der Reihe nach an und senkte den Blick. Man merkte, daß er es genoß, ein Publikum zu haben. »Der ist zum Bohren.«
Prok blickte ihn fragend an. Er war überaus geduldig, er erwiderte das Lächeln des Mannes, respektvoll, ermunternd, ohne auch nur einen Hauch von Herablassung. Am Abend zuvor hatte er mir erzählt, er habe das Gefühl, es sei höchst dringlich, hierherzufahren und Mr. X’ Geschichte aufzuzeichnen, denn der Mann sei krank und könne jeden Augenblick sterben und so auf immer für die Wissenschaft verloren sein, und er hatte betont, dies werde unser bislang bedeutsamstes Interview sein. »Ja?« sagte er. »Und zu welchem Zweck bohren Sie?«
»Na ja, Sie wissen ja, was ich mache – abgesehen von Sex, meine ich.«
Das stimmte. Der Mann arbeitete für eine Regierungsbehörde, was viele Reisen und Übernachtungen in verschiedenen Städten des Landes mit sich brachte.
»Ich sehe zu«, sagte er.
Prok verstand nicht. »Sie sehen zu?«
»Genau«, sagte Mr. X mit seiner leisen, gutturalen Stimme und machte sich daran, es uns zu demonstrieren. Er legte das Ohr an die Wand, überzeugte sich davon, daß das Nachbarzimmer unbelegt war – oder daß die Gäste entweder schliefen oder sich nicht im Raum befanden –, kniete nieder und machte mit einer raschen, geräuschlosen Drehbewegung der rechten Hand und Schulter ein hübsches kleines Loch kurz über der Fußleiste. »Da«, sagte er, »da, bitte« – wir folgten einer nach dem anderen seiner Aufforderung –, »und Sie würden sich wundern, was Sie da sehen können und wieviel.« Tief atmend hielt er inne. »Denn wenn die Leute ... Also, wenn sie in einem Hotelzimmer sind, unbeobachtet und weit entfernt von der täglichen Routine, dann machen sie Sachen, die sie sonst vielleicht nicht machen würden. Ja, ja. Ich hab alles gesehen. Huren, Affen, Zwerge. Alles. Sie würden sich wundern.«
Was dann kam, war noch verblüffender. Wir waren ja selbst Voyeure gewesen, und der Gedanke, andere Menschen bei intimen Akten ungesehen zu beobachten, war uns nicht fremd. Doch dieser

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