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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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anderen, bis seine Haut sich schälte und er stolz die ersten Anfänge von Sonnenbräune vorzeigen konnte.
    Und natürlich gab es Sex. Prok erwartete das, und man konnte sich dem nicht entziehen und riskieren, als prüde oder verklemmt gebrandmarkt zu werden. Also fügten wir uns, mit wechselndem Enthusiasmus. Ich erinnere mich an eine bestimmte Nacht: Wir waren in einem Motel in Las Vegas, New Mexico, ganz erfüllt von dem Triumph, die Reise so gut überstanden zu haben, und voller Vorfreude auf unser Treffen mit dem phänomenalen Mr. X am nächsten Morgen, und als ich ins Zimmer trat, lagen Prok und Corcoran nackt auf dem Bett. Prok sah auf, löste sich aus der Umarmung und sagte: »Komm, Milk, mach mit.«
    Wollte ich das ? Ganz ehrlich? Nein, damals nicht. Es war zu kompliziert, die Geister von Iris, Violet und Mac schwebten über der Szene, und meine eigene H-Geschichte war sehr kurz, doch Prok konnte überaus charmant und überzeugend sein, und es gab keine kleinkarierten moralischen Bedenken oder antiquierte Vorstellungen von ehelicher Treue, die uns zurückhielten, nicht hier, in einem Motel in New Mexico, und ebensowenig irgendwo anders, in Bloomington, Indianapolis oder New York, und so gab ich nach. Warum? Wahrscheinlich, weil es einfacher war. Doch das stimmt nur zum Teil, denn um ehrlich zu sein, gab es noch einen anderen Grund: Ich liebte Prok. Ja, wirklich. Vielleicht nicht so, wie ich Iris liebte, und auch nicht so wie Mac, sondern auf eine tiefere Art – so, wie ein Patriot sein Land oder ein religiöser Eiferer seinen Gott liebt –, und wenn diese Liebe verlangte, daß ich meine Bedürfnisse den seinen anpaßte, dann tat ich das.
    Am nächsten Morgen nahmen wir jedenfalls die kalte Dusche, auf der Prok, wenn wir unterwegs waren, bestand, ganz gleich, ob es Sommer oder Winter war, ob wir in einem Hotel oder im Freien übernachtet hatten. Wir trockneten uns mit energischen Bewegungen ab, nahmen im benachbarten Schnellimbiß erwartungsvoll ein Frühstück ein und kehrten in unser Zimmer zurück, um auf Mr. X zu warten. Die gespitzten Bleistifte lagen bereit, und wir saßen im blendendhellen Morgenlicht da, strichen mit den Fingern über die abgewetzten Möbel, schmeckten mit leisen Rülpsern den Rühreiern und Waffeln nach und stellten unwillkürlich Spekulationen über den Mann an. Gewiß, er war dreiundsechzig, aber dennoch in sexueller Hinsicht ein Gigant, und wir stellten ihn uns als einen Menschen von beeindruckender Statur vor, mit breiten Schultern, schwieligen Händen und starken Armen, als einen Mann, dessen Kraft und Stehvermögen die Kategorie der Hochaktiven nach oben erweitern würden, als eine Art Herkules des Sex, der alle anderen turmhoch überragte. Aber Erwartungen sind dazu da, enttäuscht zu werden.
    Mr. X war eins fünfundsechzig groß und wog fünfundfünfzig Kilo. Er hinkte, hielt sich leicht gebeugt und wirkte eher älter, als er war. Damals kam mir jeder, der über vierzig war, uralt vor – außer Prok natürlich –, aber ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn dieser Mr. X uns gesagt hätte, er sei achtzig. Unter seinem Kinn hing die Haut in schlaffen Falten, und seine Handrücken waren voller Altersflecken. Er war beinahe vollkommen kahl (ein Zeichen von Potenz, behauptete Prok, wenn man von uns dreien und der Legende von Simson und Delila absah), und in seinem Gesicht waren zahllose Fältchen und die tieferen Furchen, die Alter und Erfahrung gegraben hatten. Als er vor der Tür stand, dachte ich, es handle sich um ein Mißverständnis, doch Prok reagierte sofort. »Willkommen«, sagte er und hielt die Tür weit auf, »wir haben Sie erwartet.«
    Der Mann verharrte, einen Lederkoffer zu seinen Füßen, mit ausdrucksloser Miene auf der Schwelle. Seine Augen funkelten wie Glasscherben in einem ausgetrockneten Flußbett. Er sah sich im Raum um, registrierte Corcorans und meine Anwesenheit und verzog die Oberlippe zum Scheinbild eines Lächelns. Sein Blick bekam etwas Gerissenes. »Dr. Kinsey, nehme ich an«, sagte er mit einer ironischen Verbeugung und stieß ein leises, heiseres Lachen aus.
»Ja«, erwiderte Prok und schüttelte ihm die Hand, »Alfred C. Kinsey. Und dies sind meine Kollegen Purvis Corcoran und John Milk. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee? Saft? Vielleicht einen RumCocktail, wenn es dafür nicht zu früh ist?«
    Der Koffer enthielt die übrigen Sex-Tagebücher mit den detaillierten Beschreibungen all der vielfältigen sexuellen Aktivitäten, denen Mr. X

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