Dr. Sex
Bestimmtheit ab, bis der Mann eines Morgens im Vorzimmer stand und versuchte, an Mrs. Matthews vorbeizukommen. Wir saßen an unseren Schreibtischen und wurden uns irgendwann des verbalen Zweikampfs, der dort stattfand, bewußt: Wir hörten den zuversichtlichen Ton der einen Stimme und Mrs. Matthews’ prompte Paraden, und ich weiß noch, daß Prok entnervt den Kopf hob. »Wer ist denn da, Mrs. Matthews?« rief er.
Und dann sahen wir ihn durch die offene Tür: Es war ein Mann mittleren Alters, mit hängenden Schultern und einem schlichten braunen Anzug, der ein verwirrtes, gekränktes Gesicht machte. »Ralph Becker«, sagte er in weinerlichem Ton. »Vom Magazine of the Year. Ich habe Ihnen telegrafiert.«
»Allerdings«, knurrte Prok. »Das haben Sie, und wir haben Ihnen geantwortet. Telegrafisch. Mehrmals.« Unvermittelt erhob er sich, schroff und wütend, und trat durch die Tür, um sich den Mann im braunen Anzug vorzuknöpfen, während wir verlegen zusahen. »Aber vielleicht haben Sie Schwierigkeiten mit schriftlicher Kommunikation.«
Der Mann stammelte eine Entschuldigung und schien sich regelrecht aufzulösen, hörte jedoch keine Sekunde lang auf zu reden. »Aber wo ich doch schon einmal da bin, könnte ich doch vielleicht ... nur einen ganz kurzen Blick in die Räumlichkeiten werfen. Mehr will ich ja gar nicht. Und vielleicht eine Kostprobe von dem, was Sie veröffentlichen wollen. Nach dem, was ich gehört habe, sind Sie unheimlich engagiert und gründlich, wahnsinnig gründlich, und haben« – er richtete den Blick an Prok vorbei auf uns, die wir wie angenagelt dasaßen – »einen erstklassigen Mitarbeiterstab. Eine Minute? Nur eine Minute?«
Prok verzog keine Miene, er verbarg sich hinter der Fassade des Interviewers, und wer ihn nicht gut kannte, wäre nie darauf gekommen, daß er kurz vor einem Wutausbruch stand. Nur seine Stimme verriet ihn: Sie kam von ganz hinten in seiner Kehle und klang gepreßt, wie ein artikuliertes Krächzen. »Ich habe es Ihnen schon hun- dertmal erklärt, so oft, daß es mir schwerfällt, höflich zu bleiben, und ich fürchte, ich muß Sie bitten, die Räumlichkeiten des Instituts auf der Stelle zu verlassen –«
»Aber ich würde Sie gar nicht stören – ich möchte nur einen Eindruck bekommen, von Ihrer Arbeit, meine ich.«
»– und sie nicht mehr zu betreten, bis Sie ausdrücklich dazu eingeladen werden.« Prok wedelte ungeduldig mit der Hand, als verscheuchte er einen Schwarm Stechfliegen. »Verstehen Sie denn nicht? Geht das nicht in Ihren Kopf? Wenn Leute wie Sie nicht endlich aufhören, uns zu belästigen, wird es überhaupt keine Veröffentlichung geben.«
Der Reporter hatte offenbar den entnervten Riß in Proks Stimme entdeckt, denn er machte sich sogleich daran, einen Haken hineinzutreiben und sich daran hinaufzuhangeln. »Haben Sie eingeladen gesagt? Sie meinen, Sie wollen die Karten auf den Tisch legen? Gut, hervorragend. Aber warum noch warten? Hier bin ich. Denken Sie nur daran, wie nützlich ich Ihnen sein kann, indem ich die Botschaft unters Volk bringe ... Das wollen Sie doch, oder? Die Botschaft unters Volk bringen? Stimmt’s?«
Das Korridorlicht verflüssigte Proks Brillengläser. Er zögerte. Ja, er wollte die Botschaft unters Volk bringen, aber nicht stückweise und nicht auf eine Art, die alles, was wir erreichen wollten, diskreditieren und entwerten würde. »Nun gut«, sagte er schließlich. »Ich weiß Ihr Interesse zu schätzen. Ich – oder vielmehr: wir, meine Kollegen und ich – haben folgendes beschlossen.« Er warf einen kurzen Blick über die Schulter zu uns, und wir taten unser Bestes zu zeigen, daß wir wie ein Mann hinter ihm standen, waren aber ebenso gespannt wie der Mann im braunen Anzug. »Wir werden Journalisten aller größeren Zeitungen und Zeitschriften einladen, ihnen unsere Räumlichkeiten zeigen, ihre Sexgeschichten aufzeichnen und ihnen vollen Zugang zu den Druckfahnen gewähren, sobald diese fertiggestellt sind. Ich betone: fertiggestellt. Abgeschlossen. Versandbereit. Haben Sie das verstanden?«
»Und ich werde der erste sein?«
»Einer der ersten.«
Es trat eine Pause ein. Der Mann verlagerte sein Gewicht von einem abgewetzten braunen Schuh auf den anderen. Er hatte ein schmales, gerissenes Gesicht, das Gesicht eines Erpressers, das Gesicht des Mannes, der für die schmutzigen Details zuständig war. Er war gekommen, um uns auszuhorchen, genau wie Skittering. »Sie wollen mich im Ernst noch mal die weite Reise machen
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