Dr. Sex
ein gutes Geschick, als wäre hier tatsächlich etwas Außergewöhnliches im Gange: Wenn Iris noch fünfundvierzig Minuten durchhielt, würde John junior denselben Geburtstag haben wie Prok. Ich sagte mir, daß es für alles einen guten Grund gab, und ich konnte mir nichts Passenderes vorstellen. Oder Verheißungsvolleres. John junior und Prok. Ich sah bereits eine lange Reihe von Geburtstagen – Luftballons, Blumen, das Anschneiden des Kuchens, Prok, der meinen Sohn auf seine Schultern hob und mit ihm durchs Zimmer stolzierte, der Onkel, der Pate, der Mentor.
Ich nahm einen Schluck aus dem Flachmann und sah Iris an. Sie lag da, als wäre sie aus Stein. Man hatte ihr eine Epiduralanästhesie gegeben, und Dr. Bergstrom hatte bereits von geburtseinleitenden Mitteln oder gar einer Operation gesprochen, denn es bestehe nunmehr die Gefahr einer Infektion. Die Schwestern machten jetzt einen etwas geschäftigeren Eindruck. So oder so, der Augenblick rückte näher. »Iris«, sagte ich. Wahrscheinlich war ich mittlerweile halb betrunken. Der Flachmann tat meinen gereizten Nerven wunderbar wohl, und ich wollte nicht an die Verzögerung und die möglichen Folgen, den tödlichen Ausgang denken, der wie ein greifbarer Alptraum über dem Bett hing, nein, ich wollte die Dinge positiv sehen und Iris Mut machen, so gut ich konnte. »Iris, weißt du, was?«
Sie war erschöpft, ausgelaugt, all ihre Energie, all ihr Optimismus waren verschwunden. Sie hob kaum die Lider.
»So, wie es aussieht, wird John junior – oder Madeline – denselben Geburtstag haben wie eine berühmte Persönlichkeit.«
Nichts.
»Denselben Geburtstag wie Prok. In einer Dreiviertelstunde ist der 23. Juni, Proks Geburtstag. Ist das nicht wunderbar?«
Sie stieß plötzlich ein Keuchen aus. Es klang, als hätte man eine Champagnerflasche geöffnet. Und dann, Sekunden später, ein zweites, und dann noch eins, und der Vorhang wurde aufgerissen, die Schwestern bugsierten das Bett in den Kreißsaal, und ich versuchte, den Galopp meines Herzens zu zügeln, während ich, ausgestattet mit keimfreiem Kittel und Gesichtsmaske, zusah, wie mein Sohn am 22. Juni 1947 um 23.56 Uhr zur Welt kam.
Ich würde gern sagen, daß der Band über das sexuelle Verhalten des Mannes zur selben Zeit das Licht der Welt erblickte – nach Proks Zeitplan hätte es so sein sollen –, doch die Geburt des Textes gestaltete sich etwas schwieriger und langwieriger, als wir es uns vorgestellt hatten. In der Gluthitze des Sommers unternahmen wir kurze Reisen zu diesem oder jenem Veranstaltungsort, und Prok arbeitete immer besessener an dem Manuskript und schrieb praktisch überall – im Wagen, im Zug, zu Hause, bevor er ins Institut ging, und im Institut, nachdem alle nach Hause gegangen waren. Die letzten Kapitel verfaßte er, als WB. Saunders uns die Druckfahnen der ersten Kapitel schickte. Er arbeitete achtzehn Stunden am Tag, Schlaf war ein Luxus, Essen lediglich Brennstoff für den Motor. Mac, Mrs. Matthews, Corcoran, Rutledge und ich übernahmen die Fahnenkorrektur, in unseren Räumen waren Wächten aus Papier, statistischen Kurven und aufgeschlagenen Fachbüchern, und immer war noch eine Tabelle zu berichtigen, noch ein Sachverhalt zu verifizieren. Der 15. September war der absolut unumstößliche Abgabetermin, und Ende August mußten noch fünf Kapitel zu Ende geschrieben werden.
Ich war noch nie im Leben so beschäftigt und Prok noch nie so fordernd – und gereizt – gewesen, und wenn ich nicht im Institut war, schlug der Tumult zu Hause über mir zusammen: Windeln, die im großen Kessel vor sich hin kochten oder wie kleine weiße Fahnen auf der Wäscheleine im Garten hingen, überall Babyfläschchen, und in Wohn- und Schlafzimmer hing der Geruch nach Babymilch, bis ich dachte, die Wände selbst sonderten Milch ab. Nächtliche Fütterungen, John Juniors Symphonien aus Schreien, Klagen, Husten, die schmerzhafte Stille des Hauses um drei Uhr morgens und Iris’ mütterliche Ruhe. Und ihre Mutter, natürlich ihre Mutter. Ihre Mutter kam für den ersten Monat. Sie nahm in jede Hand einen Schwamm und putzte alle horizontalen Flächen im Haus, bis sie glänzten, sie schaffte Lebensmittel herbei, fegte wie ein Roboter und kochte große Töpfe voller Lammragout oder Eintopf oder Nudelauflauf mit Käse und großen, wie Geschützstellungen auf der Oberfläche verteilten Wurststücken.
Ich verhielt mich ihr gegenüber neutral. Sie war wie Iris, nur älter, und sie war eigensinnig und
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