Dr. Sex
Haben sie gesagt, wie lange es noch dauern wird?«
Man hatte ihr etwas gegen die Schmerzen gegeben, und ihre Stimme klang träge. »Es wird schon noch eine Weile dauern, John«, murmelte sie. »So ist das eben, weißt du? Wenn es das erste ist ...«
In diesem Augenblick schrie eine unsichtbare Frau am anderen Ende des Saals auf – oder vielmehr: sie kreischte, als würde sie mit glühenden Zangen und Elektroden gefoltert. Stille, und dann schrie sie abermals. Ich fühlte mich gestraft, ich war ratlos, voller Reue und Zärtlichkeit. Das einzige, was mir einfiel, war, die Hand meiner Frau zu drücken. »Soll ich Bergstrom holen? Mit ihm reden, meine ich?«
Ihre Stimme wurde leiser. »Nur wenn du willst. Aber reg dich« – wieder kreischte die Frau, Stein auf Glas – »nicht auf. Mir geht’s gut. Wirklich. Du wirst sehen, es wird alles glattgehen.«
Und natürlich behielt sie recht: Alles ging glatt, und das Ergebnis war John junior, 3320 Gramm, 53 Zentimeter. Doch es war eine lange Geburt: Aus Freitag nacht wurde Samstag morgen, das Vorrücken der Uhrzeiger war das Zäheste, was ich je zu ertragen hatte – Sonntagspredigten, Zahnarzttermine, Prok in der sechsten Stunde eines Vortrags, gehalten während einer Fahrt im Buick –, und dann ging die Sonne auf, und Bergstrom erschien ausgeschlafen und riet mir, nach Hause zu fahren, zu duschen und mich ein bißchen aufs Ohr zu legen, denn der Muttermund sei noch kaum geöffnet, und es werde wohl noch eine Weile dauern. Ich fuhr nicht nach Hause. Ich saß zusammengesunken auf dem Stuhl neben Iris’ Bett und lauschte den gedämpften Geräuschen der Station und hörte vielleicht auch das eigenartige Wimmern eines Neugeborenen aus dem Kreißsaal gegenüber. Ich hielt mich mit Kaffee wach und aß irgendwas Fettiges aus der Cafeteria – Chili con carne, Brathähnchen und Fleischbällchen –, bis mein Magen ein einziges Säurebad war. Als der Samstagnachmittag in den Samstagabend überging, ohne daß etwas geschehen wäre, suchte ich Trost bei meinem Flachmann.
Die ersten Stunden des Sonntags brachen an. Ich ging hinaus zum Wagen und schlief, und als ich erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel und verwandelte den Dodge, dessen Fenster ich zum Schutz vor Moskitos hochgekurbelt hatte, in einen Schmelzofen. Ich war völlig durchgeschwitzt, und ich fürchte, ich war eine wandelnde Quelle unangenehmer Gerüche und Sekrete. Mein Mund war ausgetrocknet, doch ich füllte den Flachmann vorsorglich auf, bevor ich zurück ins Krankenhaus schlurfte, nach Iris sah – noch immer nichts – und mich auf die Herrentoilette zurückzog, wo ich mir etwas Wasser ins Gesicht spritzte und die Achselhöhlen mit Seife und Papiertüchern auswischte. Als ich in der Cafeteria ein Sandwich aß, war es bereits nach Mittag, und dann setzte ich mich für die langen Stunden bis zum Abend ans Bett meiner Frau, und es war, als wären wir nie irgendwo anders gewesen als hier, hinter den weißen Vorhängen, während Hochschwangere rechts und links in die Betten stiegen, ihre Schmerzen hinausschrien und in den Kreißsaal gefahren wurden, wo sie Ehemänner und Ärzte mit einem Kind belohnten. Als die Sonne zum dritten Mal unterging, las ich Iris aus der Zeitung vor.
Dann war es Nacht, zehn Uhr, halb elf, elf, und noch immer nichts, auch wenn die Wehen jetzt schneller kamen und Dr. Bergstrom alle paar Minuten den Kopf durch den Vorhang steckte, Iris’ Muttermund untersuchte und ermunternde Geräusche machte. Ich sollte übrigens erwähnen, daß ich die Erlaubnis hatte, während der ganzen Prozedur bei meiner Frau zu sein und die Geburt mitzuerleben. Das hatte Prok mir geraten. Er war bei der Geburt seiner drei Kinder dabeigewesen und betonte sowohl mir als auch Dr. Bergstrom gegenüber sehr eindringlich die wissenschaftliche Bedeutung dieser Erfahrung, und ich glaube, er wäre nur zu gern auch bei dieser Entbindung zugegen gewesen, wenn das nicht einen sonderbaren Eindruck gemacht hätte. Es war ja schon sonderbar genug, daß der Ehemann anwesend war – aber ein anderer Mann, ganz gleich, wie vertraut er mit der Gebärenden sein mochte und wie vollkommen objektiv er das Geschehen verfolgen würde? Und natürlich hätte Iris es ihm ohnehin verweigert. Hier bestimmte sie. Keine Widerworte.
Und dann, als elf Uhr vorbeischlich und es in meinem Magen rumorte und der Bourbon mich wärmte und all meine Ängste an die Oberfläche trieben wie Ertrunkene, kam es mir so vor, als waltete in dieser Verzögerung
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