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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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anzuschaffen, die es gab, und einen Vollzeit-Fotografen einzustellen. Dieser Fotograf – Ted Aspinall – wurde das letzte Mitglied des engsten Kreises; er kannte unsere geheimsten Geheimnisse und war bei allem, was noch kommen sollte, dabei.
    Aspinall war damals Anfang Dreißig, Privatmann, Junggeselle und auf der H-Skala von 0 bis 6 vermutlich eine 3. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Fotograf in Manhattan. Äußerlich war er eine beeindruckende Erscheinung: eins sechsundachtzig, mit breiten Schultern, Händen wie Pranken, schweren Knochen, und doch war er alles andere als grobschlächtig. Er hatte die zurückhaltende, wissende Art eines Hipsters aus Greenwich Village, trug auch im Dunkeln eine Sonnenbrille und zog seinen hellbraunen Trenchcoat vermutlich nur aus, wenn er zu Bett ging. Als der Band über das sexuelle Verhalten des Mannes erschienen war, las er ihn zweimal und rief Prok spontan an, um ihm zu sagen, wie sehr ihn das Buch begeistert habe. Die beiden waren sich sogleich sympathisch. Bei unserem Aufenthalt in New York lernten wir ihn persönlich kennen. Er nahm Proks Einladung an, das Institut zu besuchen, und daraus ergab sich alles weitere.
    Seine erste Arbeit für uns bestand in der Dokumentation der bereits erwähnten Untersuchung der Formen der Ejakulation. Diese war bedeutsam für unser Verständnis der Vorgänge bei der Empfängnis. In der damaligen medizinischen Fachliteratur hieß es, eine Empfängnis könne nur erfolgen, wenn das Sperma mit Druck ausgestoßen werde, doch unsere Daten zeigten, daß die Mehrheit der Männer nicht spritzte, sondern tröpfelte. Daher beschloß Prok, eine Feldstu- die durchzuführen. In jenem Herbst (es war das Jahr 1948, und ich erinnere mich deshalb so genau daran, weil ich wegen dieser Reise John Juniors erste Halloween-Feier verpaßte: Iris verkleidete ihn als Tigger aus Pu der Bär, mit einem Kostüm, das sie nach einem Schnittmuster geschneidert hatte, und sie war stinksauer auf mich), in jenem Herbst also fuhren wir nach New York und stiegen wie immer im Astor ab. Aspinall erschien mit seinem Geschäftspartner, einem Mann meines Alters, an dessen Namen ich mich nicht erinnere. Nennen wir ihn einfach Roy. Roy verfügte über zahlreiche H-Kontakte und versicherte, er könne uns ohne große Umstände die tausend Freiwilligen bringen, die laut Prok für eine aussagekräftige Erhebung erforderlich waren.
    Prok war skeptisch. »Eintausend ?« wiederholte er. »Sind Sie sicher? Ganz sicher? Denn bei weniger als tausend verschwenden wir nur unsere Zeit.« Wir waren in unserem Zimmer im vierzehnten Stock und betrachteten das Gewimmel der Menschen auf dem Platz dort unten. Die Vorhänge waren zurückgezogen – Prok wollte soviel Licht wie möglich –, und die Möbel waren so, wie man es von einem Hotel der unteren bis mittleren Kategorie erwarten konnte.
    Roy, ein drahtiger, amphetamingetriebener kleiner Mann, schwenkte die Arme, und seine Stimme stieg um eine halbe Oktave. »Nein, nein, nein«, sagte er, »Sie verstehen nicht. Ich kenne da einen Jungen, der ist ein Genie. Bildschön. Siebzehn Jahre, perfekte Haut, Haare wie Sirup. Ein Flüchtling aus Deutschland oder Österreich mit einem ganz leichten Akzent, der alles ein bißchen heißer macht, wenn Sie verstehen, was ich meine. Im Augenblick ist er das Schärfste, was man auf der Straße finden kann, jedenfalls in dieser Gegend. Zwei Dollar für jeden Freiwilligen, stimmt’s? Und zwei Dollar kriegt der Junge für jeden Freiwilligen?«
    Stirnrunzelnd zeigte Prok ihm seine Brieftasche.
»Okay«, sagte Roy, »okay«, und Aspinall nickte uns beruhigend zu. »Also dann morgen nachmittag um fünf in unserem Studio.«
    Als Prok, Corcoran und ich am nächsten Nachmittag in die Straße einbogen, wo Aspinall und sein Partner im Erdgeschoß eines Brownstone-Hauses ihr Fotostudio hatten, dachte ich zunächst an einen Unfall oder ein Feuer, an Menschen, die aus einem Haus evakuiert wurden, und das Löschfahrzeug, das schon unterwegs sein mußte.
    Es dauerte einen Augenblick, bis mir klarwurde, daß es sich um eine Schlange handelte, die sich am ganzen Block entlangzog – eine Schlange, in der ausschließlich Männer standen, und sie hatten das Haus nicht fluchtartig verlassen, sondern wollten hinein. Einige erkannten Prok, als wir uns einen Weg durch die Menge bahnten, riefen seinen Namen und baten um ein Autogramm, doch er machte sein unbeteiligtes Gesicht, um daran zu erinnern, daß es sich hier um eine

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