Dr. Sex
wissenschaftliche Untersuchung und nicht um eine Quizshow handelte. Dennoch reckten sich hundert Arme nach ihm, und als wir die Treppe hinauf- und durch die offene Tür des Studios gingen, schüttelte er mit starrem Politikerlächeln so viele Hände, wie er konnte.
Alles war bereit: Kamera, Licht, Ausstattung und Darsteller zu Hunderten. Der junge blonde Stricher ganz vorn in der Schlange unterhielt sich mit denen, die hinter ihm standen, und wartete auf das Signal. »Erster, erster«, rief er, als wir uns durch die Tür zwängten. »Ich bin erster, und dann geh ich raus und hol noch mehr, ja?«
Prok taxierte ihn. Dann nahm er zwei Scheine aus seinem Bündel Ein-Dollar-Scheine und überreichte sie ihm. »Ja«, sagte er, »ja, das ist eine gute Idee«, und die Augen der Männer im Flur fixierten uns, als wollten sie sich diese Transaktion in allen Einzelheiten einprägen: Es stimmte also wirklich, auch das mit dem Geld.
Roy und Aspinall hatten das Mobiliar an die Wände geschoben und in der Mitte des Raums eine Art Manege geschaffen, indem sie auf dem Teppich ein Laken ausgebreitet und ringsherum Scheinwerfer und Kamera aufgebaut hatten. Jeder Proband sollte sich ausziehen, auf den Boden legen und die Sache so schnell wie möglich erledigen. Die Fotografen hatten einen kleinen Stapel Pornomagazine für Homo- und Heterosexuelle zusammengetragen. Aspinall ging mit Trenchcoat und Sonnenbrille herum und überprüfte die Geräte, während Roy uns zu den drei Stühlen geleitete, die er so aufgestellt hatte, daß wir nicht ins Bild kamen. Und dann begannen sie zu filmen.
Wir hatten mit fünf Minuten pro Person gerechnet. Einer nach dem anderen kam herein, zog sich aus und legte sich auf das Laken, kaum daß sein Vorgänger aufgestanden war. Es war wie am Fließband, doch bald wurde deutlich, daß wir die Sache ein wenig beschleunigen mußten, denn es gab zu viele Verzögerungen: Einige Männer bekamen vor laufender Kamera keine Erektion, andere brauchten mehr Zeit, mußten auf die Toilette und so weiter. Nach ein paar Stunden merkten wir, daß das Ausziehen zu lange dauerte – dreißig Sekunden, vierzig, eine Minute –, und Prok bat Roy, den nächsten Männern zu sagen, sie sollten sich bitte schon auf dem Korridor ausziehen, und ihnen die Magazine zu geben. Corcoran hatte behauptet, es mache gar keinen Unterschied, ob die Männer bekleidet oder nackt seien, von Interesse seien doch nur der Penis, die Hand und die Ejakulation, und ich wollte ihm eigentlich zustimmen, doch Prok hatte uns vorgeworfen, das Projekt zu untergraben, und auf Nacktheit bestanden. »Wir wollen alles: Technik, Gesichtsausdruck, alles«, sagte er angespannt flüsternd, als sich der fünfzigste oder sechzigste Proband auf dem zunehmend fleckigen Laken ans Werk machte. »Letztlich ist alles von Bedeutung. Konvulsionen, zum Beispiel.«
»Konvulsionen?« sagte ich laut. Im Scheinwerferlicht bearbeitete der Mann vor uns seinen Penis, als wollte er ihn ausreißen; sein Gesicht war kalt und haßerfüllt, und er war überall behaart: Es wuchs in Büscheln auf Fingern und Zehen, es wucherte auf seinen Schultern und ging nahtlos ins Kopfhaar über. Es war ein Affe von einem Mann, ein Schimpanse, ein Gorilla, und wenn Sie glauben, Sexualfor- schung sei erregend, kann ich Ihnen nur versichern, daß sich nach dem ersten Prickeln angesichts von echtem oder gefilmtem Sex sehr bald der Eindruck stumpfsinniger Gleichförmigkeit einstellt. Ebensogut hätten wir Lachse zählen können, die zum Laichen irgendeinen Fluß hmaufschwammen. Es war nach Mitternacht. Ich unterdrückte ein Gähnen.
»Ja, natürlich. Beim Orgasmus. Ein Prozent der befragten Männer berichten von Konvulsionen, und ich muß sagen, daß gerade du, Milk, das eigentlich wissen müßtest. Recht häufig auch bei einigen Tierarten. Bei Kaninchen und Meerschweinchen.« Auch Prok wirkte gelangweilt. Er sah zu dem Mann, der grunzend auf dem Laken lag, beugte sich vor und sagte leise: »Wenn Sie dann bitte fertig werden würden ...«
Wir blieben zehn Tage. Gegen Ende besetzten wir jeden Termin doppelt und schließlich dreifach. Aspinall bewegte die Kamera geschickt von einem Probanden zum anderen, ohne einen einzigen Höhepunkt zu verpassen. Ich glaube, keiner von uns, ganz gleich, wie sehr er sich dem Projekt verschrieben hatte, würde je wieder das leiseste Bedürfnis verspüren, einem Mann beim Masturbieren zuzusehen, aber Prok kriegte seine tausend Aufnahmen und konnte auf der Grundlage dieses
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