Dr. Sex
öffnete die Wagentür für sie, beugte mich hinunter und drückte meine Lippen auf ihren Mund. Meine Hände fanden ihre Schultern, die seidige Haut ihrer Oberarme, und ich strich ihr Haar zurück und küßte ihren Hals. So blieben wir lange Zeit, denn wir waren noch jung, wir liebten uns noch, John junior war in der Obhut eines Babysitters, und das hier war das, was Paare taten, wenn sie aller Verantwortung ledig waren und sich die Nacht über ihnen zu den grund- und ziellosen Straßen des Universums weitete. »Hmm«, sagte sie schließlich, und ihre Lippen strichen über die meinen, »vielleicht sollten wir uns öfter mal die Paarung der Stachelschweine ansehen. Glaubst du, Professor Shadle macht Hausbesuche und gibt Privatvorstellungen?«
»Nein«, flüsterte ich, »wir brauchen keinen gelehrten Professor und keine Stachelschweine.« In diesem Augenblick schwang die Haustür hinter uns auf – ein Parallelogramm aus gelbem Licht auf dem gepflasterten Weg –, und wir hörten Stimmen, Schritte, das Klacken spitzer Absätze auf den Steinen. Ich richtete mich auf, schloß die Beifahrertür und ging zur Fahrerseite. »Wir brauchen niemanden«, sagte ich, glitt auf den Sitz, legte meine Hand auf ihr Knie und schob sie unter dem dünnen Sommerkleid nach oben.
»Nein«, sagte sie, »nicht mal Prok.«
Die Corcorans traten aus dem Vorgarten, ihre murmelnden Stimmen vermischten sich, und wir saßen in der Dunkelheit des Wagens und sahen zu, wie sie sich Arm in Arm entfernten. Ich streckte die Hand nach dem Zündschlüssel aus, ich wollte den Motor anlassen und nach Hause fahren, doch Iris legte ihre Hand auf meine und führte sie wieder zu ihren nackten Oberschenkeln und den Falten des verrutschten Kleids. »Du meinst doch nicht ... hier?« flüsterte ich.
»Doch«, sagte sie, »hier. Genau hier.«
7
Film war das neue Medium, das erkannten wir alle, und wir begriffen auch von Anfang an – seit jenem Abend bei Prok, als Professor Shadle uns seine unvergeßlichen Bilder von Stachelschweinen im Liebestaumel vorgeführt hatte –, daß dieses Medium unsere Forschungen revolutionieren würde. Während wir zuvor sexuelle Aktivitäten in natura hatten beobachten können, erst bei Ginger und ihren Freiern, dann – eindringlicher – bei Betty und Corcoran, bestand nun die Möglichkeit, das alles aufzunehmen, so daß die Abfolge (von Passivität zu Erregung, Anschwellen und Penetration) immer wieder auf Details untersucht werden konnte, die im Eifer des Gefechts vielleicht übersehen worden waren. Und das kam uns zu diesem Zeitpunkt besonders gelegen, denn wir waren im Begriff, uns dem sexuellen Verhalten der Frau zuzuwenden. Dabei mußten wir nicht nur gewaltige Datenmengen verarbeiten, sondern auch physiologische Reaktionen beobachten und aufzeichnen, um beispielsweise individuelle Variationen im Hinblick auf die Menge des von den Bartholin-Drüsen abgesonderten Sekrets zu bestimmen oder ein für allemal die von Freud begonnene Debatte über den vaginalen und klitoralen Orgasmus zu beenden.
Es war beinahe, als hätte die Öffentlichkeit nur darauf gewartet. Wir erhielten körbeweise Post: Briefe von Ratsuchenden, hastig hingeworfene Notizen, in denen unsere Methoden, unsere Moral und unsere geistige Gesundheit in Frage gestellt wurden, und Angebote sexueller Abenteuer jeder nur denkbaren Art. Aber es kamen auch Filme. Einige, die das Verhalten von Ratten, Tauben und Nerzen zeigten, stammten von Tierverhaltensforschern, zu denen Prok seit Jahren Kontakte pflegte. (Die Nerze waren großartig; ihr Paarungsverhalten kam dem Sadomasochismus so nahe, wie es bei Geschöpfen im Naturzustand überhaupt nur möglich ist: Nach vollzogenem Akt bluteten beide Partner.) Andere – Amateuraufnahmen auf 8-mmSchwarzweißfilmen – wurden uns von Freunden der Forschung zugeschickt und zeigten Sex zwischen Menschen. An den ersten kann ich mich deutlich erinnern. Wir hatten gerade eine Teambesprechung abgehalten – es muß ein Freitag gewesen sein, denn an diesem Tag fanden solche Besprechungen statt –, und Mrs. Matthews saß im Vorzimmer an ihrem Schreibtisch und sortierte die Post. »Dr. Kinsey«, rief sie, als wir aus dem hinteren Raum kamen, »das hier sollten Sie sich mal ansehen.«
Der dem Film beigefügte Brief war von einem jungen Paar aus Florida, das unsere Forschungen überschwenglich pries (»Es wurde auch Zeit, daß jemand aufsteht und dieses puritanische Land aus der sexuellen Finsternis befreit«) und ausführlich (auf
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