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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Zoologie, aufgestiegen, und wenn ich Elster auf dem Korridor oder der Treppe des Instituts für Biologie begegnete, sah er durch mich hindurch, als wäre ich gar nicht vorhanden. Auch unter denen, die Biologie im Hauptfach studierten, gab es vermutlich einigen Unmut – immerhin verfügte ich über keinerlei Fachkenntnisse, abgesehen von denen, die ich mir im zweiten Studienjahr in einem von Professor Eigenmann veranstalteten Grundkurs angeeignet hatte, und war dennoch mit einer Stellung belohnt worden, die wohl zu den angenehmsten im ganzen Institut zählte. Prok wollte aber vor allem jemanden, zu dem er ein gutes Verhältnis hatte und der seine Begeisterung für dieses nagelneue Projekt teilte, das schließlich zur Publikation der beiden grundlegenden Werke in der Geschichte der Sexualwissenschaft führen sollte. Und bei der Auswahl dieser Person spielte die Hierarchie keine Rolle – es hätte jeder sein können. Daß ich der erste war, der in diesen engsten Kreis von Vertrauten aufgenommen wurde, ist etwas, was mich für immer mit Dankbarkeit erfüllen wird. Und mit Stolz. Dafür stehe ich bis heute in Laura Feeneys Schuld.
    Jedenfalls setzte Prok mich an einen Tisch im hinteren Teil des Büros, wo ich zwischen hohen dunkelgrauen Bücherregalen eingezwängt war und aus dem Fenster sehen konnte, auf dessen Fensterbank sich Gallen türmten, die in Stoffsäckchen steckten, damit die möglicherweise ausschlüpfenden Insekten nicht davonfliegen konnten. Diese Gallen stammten aus der Sierra Madre Oriental oder aus Prescott, Arizona, ja sogar aus dem Apennin oder den zerklüfteten Hügeln von Hokkaidō (interessierte Kollegen oder Laien in aller Welt sandten Prok ausgewählte Exemplare zu). Ein undefinierbarer, nicht unangenehmer, aber eindeutig seltsamer Geruch hing in der Luft – er ging von diesen vollgestellten und beengten Räumlichkeiten im ersten Stock des Institutsgebäudes aus und war untrennbar mit ihnen verbunden. Das hatte natürlich etwas mit den Gallwespen zu tun, denn die Gallen – diese holzigen Wucherungen an Eichen und Rosen, deren Wachstum durch die Wespenlarven, die darin leben, ausgelöst wird – verströmen tatsächlich einen recht angenehmen Geruch, vermutlich nach Borke und Tannin. (Wenn Sie einen Waldspaziergang machen, brechen Sie mal eine Galle ab und riechen Sie daran, dann wissen Sie, was ich meine.) Die Wespen selbst hatten, soweit ich feststellen konnte, keinen Geruch. Außerdem nahm man Spuren des Zigarettenrauchs wahr, den die von Prok Befragten in dicken blauen Wolken ausstießen, wenn sie ihm die Geschichte ihres Sexuallebens offenbarten, sowie den Duft, der Prok selbst umgab, den Duft rosiger geschrubbter Sauberkeit; er war ein entschiedener Verfechter der morgendlichen kalten Dusche und beinahe zwanghaft, was den Gebrauch von Seife betraf. Unterlegt war das alles mit den Parfüms der drei Assistentinnen, die sich den Schreibtisch mit mir teilten und sich mit mir abwechselten, und den üblichen Bürogerüchen von Tinte, Bleistiftspänen, Schreibmaschinenöl und (in diesem Fall) einem chemischen Mittel gegen jene winzige Käferart, die schon ganze entomologische Sammlungen vernichtet hat.
    An meinem ersten Tag wies Prok mich ein und gab mir Anweisungen, wie ich seinen Geheimcode zu dechiffrieren und die Resultate zu übertragen hatte. Er war sehr genau, ein Muster an Effizienz, und wenn seine Schrift auch irgendwie künstlerisch war, voller Schnörkel und großer, geschwungener Linien, so bestand seine Druckschrift – wie meine – aus einer beinahe mechanischen Aneinanderreihung von Buchstaben, so gleichmäßig geformt, daß sie auf den ersten Blick wie maschinengeschrieben wirkten. Er sah mir, berstend vor Energie und auf den Fußballen wippend, über die Schulter, schnalzte angesichts meiner Schrift mißbilligend mit der Zunge, griff ungeduldig nach meiner Hand oder nahm das Blatt Papier, knüllte es zusammen und warf es weg, weil ich einen Fehler gemacht hatte. So ging es stundenlang. Er lief ständig zwischen seinem und meinem Tisch auf und ab, doch als er schließlich glaubte, ich hätte begriffen, worum es ging, setzte er sich auf die Kante meines Tischs und sagte: »Sie machen das sehr gut, Milk. Ich muß zugeben, daß ich zufrieden bin.«
    Ich sah zu ihm auf und murmelte eine Antwort, die meine Freude über das Lob ausdrücken sollte, ohne allzu kriecherisch zu klingen. Prok gab den Kurs vor, und zwar immer, er war ein geborener Führer, aber er hielt nichts von

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