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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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wissen, ob du ... ob du sie gekriegt hast.«
Zwei Ströme von Studenten schoben sich an uns vorbei. Wir standen wie Pfeiler in dem feuchten Korridor. Stimmen summten, am Ende des Flurs sah ich Professor Ellis, hundert Paar Schuhe quietschten auf dem nassen Linoleum. »Bitte, John«, sagte sie, und ihr Mund wurde zu einem Nichts, zu einem Strich, einem verräterischen Sprung im Porzellan ihres glänzenden gequälten Gesichts, »nicht hier. Das ist nicht der richtige Ort.«
Ich starrte sie entsetzt an. Ein überwältigendes Gefühl von Verlust und Schuld, von gnadenloser, unentrinnbarer Schuld, begann auf mich einzuschlagen, als wäre ich ein straff gespanntes Trommelfell, und ja, mein Nacken wurde kalt, und meine Kopfhaut prickelte. »Aber hör mich wenigstens an«, sagte ich.
»Du willst reden? Na gut. Prima. Ich bin gespannt zu hören, was du zu sagen hast, sehr gespannt.« Aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen, und sie stand stocksteif da. »Um vier«, sagte sie und mühte sich, den richtigen Ton zu treffen. »Bei Webster’s. Du kannst mich nicht verfehlen. Ich bin die Frau, die ganz allein am letzten Tisch sitzt.«
Ich mußte Prok bitten, an diesem Tag zu anderen Zeiten arbeiten zu dürfen, und ich kann nicht behaupten, daß er überglücklich war – alles, was die Arbeit behinderte, war gegen das Projekt und damit auch gegen ihn selbst gerichtet –, doch ich schaffte es, vor Iris in Webster’s Drugstore zu sein, und als sie durch die Tür trat, umständlich ihren Schirm ausschüttelte und sich das Haar zurückstrich, um zu verbergen, was sie empfand, war ich da. Ich sagte ihr, wie froh ich sei, daß sie gekommen sei, und dann sagte ich ihr, wie sehr ich sie mochte und wie leid es mir tat. Meine Erklärungen waren vermutlich mehrere Absätze lang, aber ich will mich hier damit begnügen zu erwähnen, daß ich zu meiner Entlastung Prok und die Notwendigkeit anführte, um meiner Zukunft und beruflichen Karriere willen die Beziehung zu ihm zu vertiefen.
Sie hörte gleichgültig zu und ließ mich reden und reden, bis schließlich an irgendeinem Punkt ein Lächeln ihr Gesicht erhellte und sie sagte: »Ich bin mit jemand anderem gegangen. Zu dem Stück, meine ich. Und es war einer der schönsten Abende, die ich seit dem Beginn meines Studiums hier erlebt habe.«
»Oh«, sagte ich. »Na ja, wenn das so ist ...«
»Willst du nicht wissen, wie er heißt?«
Wir tranken Tee und kämpften gegen den Impuls an, unsere mit Puderzucker bestäubten Doughnuts in die kleinen Steinguttassen zu tauchen, die auf Untertellern vor uns standen. Ich war kein Teetrinker. Ich mochte Tee nicht besonders. Aber ich trank Tee, weil sie ihn bestellt hatte – mit einem Blick zur Kellnerin und dann zu mir, der anzudeuten schien, daß Tee etwas Exotisches war, die raffinierte Wahl der Eingeweihten. Ich hatte gerade die Tasse an die Lippen gehoben, doch nun stellte ich sie wieder ab. Ich versuchte, meiner Frage einen beiläufigen Klang zu geben. »Wie er heißt?« sagte ich. »Warum, kenne ich ihn?«
Sie schüttelte den Kopf. Ihr Haar fing das Licht ein, das durch das Fenster fiel. »Ich glaube nicht. Er ist auch im letzten Studienjahr, wie du. In Architektur. Bob Hickenlooper?«
Was soll ich sagen? Hickenloopers Gesicht tauchte vor mir auf, ein langweilig gutaussehendes Gesicht, das Gesicht von einem der umschwärmtesten Männer der Uni, der in dem Ruf stand, allem nachzulaufen, was hochhackige Schuhe trug – es durften aber auch flache sein –, und obendrein war er noch intelligent und hatte eine großartige, staunenswerte Zukunft vor sich. Ich wurde von Eifersucht gepackt. Die Strähne, die nie bleiben wollte, wo sie hingehörte, fiel mir in die Stirn, und am liebsten hätte ich sie mir mit einem Ruck ausgerissen. »Er ... er wohnt in derselben Pension wie ich«, sagte ich und machte meine Stimme so kalt und klein, wie ich konnte.
Ihr gefiel die ganze Sache mittlerweile, das sah man an dem Funkeln ihrer Augen und der Art, wie sie hin und her rutschte, um mich besser mustern zu können. Sie senkte den Kopf, spitzte die Lippen und trank langsam einen großen Schluck Tee. »Aber genug von mir«, sagte sie. »Was ist mit dir? Ich hab gehört, du bist befördert worden.«
»Ja, ich –«
»Sexforschung, stimmt’s?«
Ich nickte. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken, und einer der lautesten von ihnen fragte, woher sie das wissen mochte. Von Hickenlooper? Von Paul? Von ihrer Mutter? Aber wie konnte ihre Mutter es wissen, wenn meine

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