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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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nach, denn das wurde von mir erwartet, und ich tat immer, was man von mir erwartete. (Es war lediglich ein Ausdruck meiner Loyalität, eines Ethos, das in meiner Erziehung und Ausbildung sehr wichtig gewesen war und wohl einen Teil meines Wesens ausmachte, doch Iris konnte in späteren Jahren bei diesem Thema sehr ausfallend werden.)
Was als nächstes geschah – es war kurz vor dem Abschlußexamen im Juni –, überraschte mich selbst, und dabei war ich der Urheber. All diese Gespräche über Sex und darüber, wie unkompliziert und natürlich er eigentlich war und sein sollte und sein könnte, wenn nur die Gesellschaft ihre Verbote lockern würde, ließen mich über meine Situation nachdenken und über die Möglichkeiten der Triebbefriedigung (Proks Ausdruck), die mir zur Verfügung standen. Ich war jung und gesund, und die Arbeit, die Sonne und der Geruch, die Textur der Erde hatten mich zum Bersten mit Verlangen erfüllt. Ich war so scharf wie noch nie, ich war frustriert und wütend. Ich wollte Iris, ich wollte Laura Feeney, ich wollte irgendeine Frau, doch ich wußte nicht, wie ich es anfangen sollte. Zugleich hatten Prok und ich unsere Begegnungen (wie er diesen Euphemismus gehaßt hätte – Sex, wir hatten Sex), dabei war meine H-Geschichte, wie gesagt, sehr begrenzt, und daß ich auf der Skala von 0 bis 6 eine 1 oder bestenfalls eine 2 war, zeigt, wie wenig mir an dieser Art von Sex lag. Daher machte ich mich, zögernd wie immer, daran, das Thema heterosexuelle Beziehungen anzuschneiden. Aber ich will etwas weiter ausholen, denn ich erinnere mich deutlich an jenen Tag und muß die Umstände schildern.
Es war Sonntag, und wir hatten früh mit der Gartenarbeit begonnen. In der Ferne läuteten Glocken, Kirchgänger spazierten vorbei, die Luft war warm und schwer, und über den Hügeln lag die Verheißung eines spätnachmittäglichen Regenschauers. Der Garten war geöffnet: Jeden Sonntag stellte Prok ein handgeschriebenes Schild auf, das die Passanten einlud, den Garten zu besichtigen und sich anzuhören, was Prok über die Arten der Blumen und Gewächse zu sagen hatte, über ihre Klassifizierung, ihre nahen Verwandten und ihre Vorlieben im Hinblick auf Erde, Licht und Feuchtigkeit. Er liebte es über alles, mit seinen gärtnerischen Leistungen zu prahlen, und das wiederum entsprang hauptsächlich seinem ausgeprägten Konkurrenzdenken (keine anderen Lilien kamen auch nur annähernd den seinen gleich). Wir knieten auf allen vieren in einem der Vorgartenbeete und arbeiteten an einem dichten Büschel Taglilien, als Prok aufsah und sagte: »Sieh mal, ist das nicht Dean Hoenig? Und wer ist das da neben ihr? Ich könnte wetten ... Ja, ich wette, das ist ihre Mutter, die den ganzen weiten Weg von Cleveland gekommen ist, um sie zu besuchen. Hat nicht irgendwer gesagt, ihre Mutter wolle zu Besuch kommen?«
Prok erhob sich auf die Knie, ein schmales Lächeln um die Lippen. Ich sah die Dekanin der Studentinnen vorbeikommen, zum Kirch- gang gekleidet und angeregt mit einer gebeugt gehenden älteren Dame plaudernd, die ein offenes Gesicht hatte und einen Hut trug, der wie ein gestürzter Hochzeitskuchen aussah. Ich hatte gehört, daß die Dekanin kürzlich in Proks Nachbarschaft gezogen war, doch darüber hinaus wußte ich nichts über das Professorenkollegium und konnte seine Frage nicht beantworten. »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich hab nichts gehört.«
Sein Lächeln wurde breiter. Er beobachtete die beiden, wie ein Raubtier seine Beute beobachtet, und mir war klar, daß sie keine Chance hatten. Die alte Dame ging so langsam, daß sie beinahe nicht vorankam. »Da fällt mir ein«, sagte Prok mit einem subversiven Frohlocken, »daß der Garten geöffnet ist.«
Ich erwiderte das Lächeln nicht. Mit der Dekanin wollte ich nichts zu tun haben. Ich stand zwar unter Proks Schutz, aber jedesmal, wenn ich sie sah, sank ich innerlich in mich zusammen: schuldig, schuldig im Sinne der Anklage – und die Ironie dabei war, daß ich trotz des ganzen Theaters nie mehr als diesen einen Kuß von Laura Feeney bekommen hatte.
Prok fing sie am Gartentor ab. »Dean Hoenig, Sarah!« rief er und sprang in Suspensorium und schlappendem rechten Schuh auf den Bürgersteig. Die Dekanin sah ihn verwirrt an, und ihre Mutter, die mit Absätzen kaum größer als eins fünfzig war, zuckte sichtlich zusammen. Aber Prok ließ sich nicht beirren. Er war der gewandteste, höflichste, vollendetste Gentleman in ganz Indiana. Er hatte zufällig die Damen

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