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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Amberholz. Sein Haar sah aus wie immer, als wäre er gerade beim Friseur gewesen. »Ah, Milk«, sagte er und bat mich herein, »ich hab den Iris und den Lilien eben ein bißchen Humus gegeben. Ich konnte nicht widerstehen, das Wetter ist so schön.«
Zum Abendessen zog er ein kurzärmliges Hemd an, aber weder Socken noch Schuhe. Auch Mac war legerer gekleidet als bei den früheren Einladungen zum Abendessen: Sie trug ebenfalls Shorts, dazu eine hellblaue Baumwollbluse, die ihre Kehle und die zarten Schlüsselbeine frei ließ. Auch sie schien sich die Haare geschnitten zu haben – sie waren jetzt beinahe so kurz wie die eines Mannes. In meinem Jackett und der Krawatte kam ich mir etwas fehl am Platz vor, doch sowohl Prok als auch Mac versicherten mir, sie seien einfach der Jahreszeit ein wenig vorausgeeilt, das sei alles.
Nach dem Essen gingen die Kinder auf ihre Zimmer, und Prok, Mac und ich setzten uns ins Wohnzimmer und unterhielten uns. Prok knüpfte seinen Teppich, Mac strickte. Prok hatte begeistert von der frühen Rückkehr irgendeiner Zugvogelart erzählt – ich habe vergessen, wie sie hieß – und daß das einen baldigen Sommerbeginn verhieß, doch dann unterbrach er sich abrupt und wandte sich zu mir. »Milk«, sagte er. »John. Haben Sie über meinen Vorschlag von heute nachmittag nachgedacht?«
Macs Stricknadeln blitzten. Sie betrachtete mich aus den Winkeln ihrer sanften braunen Augen, und ein mütterliches Lächeln spielte um ihren Mund.
Ich sagte ihm – ihnen – , das hätte ich. »Es wäre ... äh ...« sagte ich, »eine Ehre. Und ich möchte Ihnen sagen, wie sehr ... also ... daß Sie gegenüber einem jungen Mann wie mir, einem Studenten, so großzügig sind ...«
»Gut«, sagte Prok in seinem gewinnendsten Ton, »sehr gut. Wir werden erst mal Ihre Stundenzahl erhöhen, und sobald das Semester vorbei ist, kommen Sie als Vollzeitkraft zu mir. Ihr Gehalt läuft weiter wie bisher. Und natürlich werden wir auch in Zukunft gemeinsam im Garten arbeiten.«
In dieser Stimmung – einer Stimmung gegenseitiger Wertschätzung, einer entspannten, angenehmen Atmosphäre – verging der Abend, bis Mac sich entschuldigte und Prok und mich allein ließ. Ich hatte keine Zweifel an der Arbeit, die er mir anbot, denn es war eine wichtige, äußerst interessante, ja sogar edle Aufgabe, und ich war zutiefst dankbar, daß man mir in einer Zeit, da die weltpolitische Lage alles andere als stabil war, eine feste Anstellung in Aussicht stellte, und doch hatte ich einen Vorbehalt. Oder vielleicht sollte ich lieber sagen: einen Skrupel. Was ich hinter Proks Rücken im Büro getan hatte, erschien mir nicht richtig. Er bemühte sich so sehr, etwas aus mir zu machen und auf sehr konkrete Weise in mich und meine Zukunft zu investieren, und ich verriet ihn, betrog ihn, mißbrauchte sein Vertrauen. Er erzählte von der Schule in Indianapolis, von der Porter School, und beschrieb einige Details der interessanteren Geschichten, insbesondere denen von zwei Lehrern, die ihre extensiven H-Erfahrungen vor der Schulleitung und dem Rest ihrer Umgebung verheimlichten, als ich ihn unterbrach.
»Professor Kinsey«, sagte ich. »Prok. Ich ... äh ... ich muß Ihnen etwas sagen.«
Er hielt inne – die geschickten langen Finger lagen auf dem Rand des Teppichs – und sah mich an. »Ja?« sagte er. »Was müssen Sie mir sagen, Milk?«
Ich hatte ein Klingen in den Ohren, das Läuten irgendeiner Alarmglocke, und hob die Stimme, um es zu übertönen. »Ich muß Ihnen etwas beichten.«
Nun schwieg Prok. Er schaltete in seinen Interview-Modus und war ganz Ohr.
»Also, als Sie ... als Sie fort waren, habe ich den Code geknackt. Den Sekundärcode, meine ich. Ich ... ich war an Ihrem Schreibtisch.« Seine erste Reaktion war ungläubig. »Unmöglich«, sagte er.
Ich hielt seinen Blick aus, in meinen Ohren lärmten die Glocken, und ich sah Proks Augen mal scharf, mal unscharf, bis sie wie zwei blaue, im Äther schwebende Planeten waren. »Ich habe nur zwei Geschichten nachgelesen, mehr nicht, und ich weiß natürlich, daß das unverzeihlich ist, aber ich konnte mich nicht...«
Nur ein Wort: »Wessen?«
Etwas stieß gegen das Fenster, etwas, das in Richtung der Lampe geflogen war, eine Fledermaus wahrscheinlich oder ein Vogel, der in den nächtlichen Schatten die Orientierung verloren hatte. Man hörte den dumpfen Klang von Flügeln, die gegen das Fenster schlugen, und dann nichts mehr. »Ihre«, sagte ich mit erstickter Stimme. »Und die von Mac.«
Er

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