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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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es nicht wußte? Ich wollte das Thema wechseln und sie hier und jetzt fragen, ob sie am Samstag mit mir ins Kino gehen würde, und das tat ich auch, allerdings erst nachdem sie gesagt hatte: »Wie bist du bloß an diesen Job gekommen?«
    Es wurde wärmer. Prok und ich verbrachten immer mehr Zeit im Garten. Wir setzten Steine als Kantenbefestigungen und Begrenzungen, wir gruben Beete um und schafften schubkarrenweise Mulch und Hühnermist heran, wir mähten, schnitten, pfropften. Wir teilten und verpflanzten unzählige Zwiebeln von Iris und Lilien aller Art. Iris waren seine Leidenschaft – er hatte über zweihundertfünfzig Arten gesammelt und verkaufte und tauschte die Zwiebeln landesweit per Post. Wir pflanzten auch Bäume – Obstbäume und Zierbäume, die wir irgendwo in den Hügeln ausgegraben hatten – und alle möglichen heimischen Pflanzen wie Kermesbeere, Goldrute, Schlangenwurzel, Wilde Astern und Wilde Möhren, und das hatte eine überraschende Wirkung, denn diese Pflanzen betonten die prächtigen Farben der Blumenbeete und verliehen dem ganzen Anwesen etwas Ungezügeltes, als hätte kein Mensch seine Hand im Spiel gehabt.
    Bei der Gartenarbeit sprach Prok ausschließlich über Sex und insbesondere über die H-Geschichten, die er inzwischen nicht nur in Chicago und Indianapolis sammelte, sondern auch in New York. Er war beinahe zu Tränen gerührt, als er von den Interviews mit SexStraftätern berichtete, die er im Gefängnis besucht hatte. Diese Männer waren wegen irgendwelcher Handlungen, die im Widerspruch zu antiquierten Gesetzen standen, eingesperrt worden, und die Anklagen gegen sie waren beinahe willkürlich, wie zum Beispiel bei dem Mann aus South Bend, der im Knast saß, weil er sich von seiner Frau oral hatte befriedigen lassen (oder vielmehr von seiner Exfrau, die ihn ja dann auch angezeigt hatte), oder bei den vielen Homosexuellen, die von rachsüchtigen Ehefrauen, Eltern oder Kleinstadtpolizisten bloßgestellt und vor Gericht gebracht worden waren. Unehelicher Geschlechtsverkehr war überall verboten, Masturbation ebenfalls, und unnatürlicher Verkehr wurde in den meisten Bundesstaaten als Schwerverbrechen bestraft. »Weißt du«, sagte er zu mir, und zwar mehr als einmal, und ich spürte, daß er in Gedanken bereits sein nächstes Plädoyer, seinen nächsten Vortrag entwarf, »es ist einfach vollkommen absurd. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo – vorausgesetzt, alle Gesetze würden strikt angewendet – etwa fünfundachtzig Prozent der erwachsenen Bevölkerung hinter Gittern sitzen müßten.«
    Ich sagte, er habe recht, vollkommen recht. Ich sagte, mein Leben wäre tausendmal besser verlaufen, wenn man mir nicht, kaum daß ich begriffen hatte, wozu das Ding zwischen meinen Beinen diente, alles, was damit zu tun hatte, verboten hätte.
    Er lächelte und legte mir den Arm um die Schultern. »Ich weiß, ich weiß«, sagte er. »Ich predige dem Bekehrten.«
In dieser Zeit traf ich mich immer öfter mit Iris – ich lud sie ins Kino ein, wir machten Spaziergänge und lernten gemeinsam in der Bibliothek –, doch da die Abschlußklausuren und das Examen näher rückten und Proks Projekt (von seinem Garten ganz zu schweigen) viel Zeit beanspruchte, entwickelte unsere Beziehung sich etwas sprunghaft und holprig. Bei der Arbeit im Freien trugen Prok und ich inzwischen nur noch das Nötigste, und bald waren wir so braungebrannt, daß man uns für italienische Landarbeiter hätte halten können. Prok war kein Nudist, jedenfalls nicht offiziell (er war ein viel zu unabhängiger Geist, um sich irgendeiner Gruppe oder Bewegung anzuschließen), doch er lief oft nackt herum, oder jedenfalls so leicht bekleidet, wie es die Umstände zuließen, denn seiner Meinung nach war Nacktheit bei unserer Spezies ein Ausdruck äußerster Entspanntheit und Natürlichkeit – dieselben Kräfte sozialer Kontrolle, die bestimmte sexuelle Handlungen sanktioniert hatten, bestanden darauf, daß man Kleider trug, wogegen viele Gesellschaften außerhalb des jüdisch-christlichen Kulturkreises sehr gut ohne oder mit nur sehr wenig Kleidung auskamen. »Die Trobriand-Insulaner zum Beispiel, Milk, denk bloß an die Trobriand-Insulaner. Oder die Samoer.« Um den Nachbarn oder irgendwelchen uniformierten Passanten seinen Standpunkt zu verdeutlichen, reduzierte Prok seine Gartenkleidung schließlich auf eine Art hautfarbenes Suspensorium und den rechten Schuh, den er beim Umgraben brauchte. Selbstverständlich tat ich es ihm

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