Dr. Sex
vorbeigehen sehen – »Auf dem Heimweg vom Gottesdienst, wie ich vermute« – und verspürte den Wunsch, ihr Herz für die Schönheiten seines Gartens zu öffnen und ihnen die seltene Ehre einer persönlichen Führung zuteil werden zu lassen. »Und wer ist Ihre charmante Begleiterin?« erkundigte er sich und wandte sich mit einer Verbeugung zu der alten Dame. »Ihre Mutter, nehme ich an?«
Die Dekanin war stämmig, großbusig und streng wie ein Kompaniefeldwebel. Sie war es gewohnt, Anweisungen zu geben, die Studentinnen zu beaufsichtigen und die Wohnheime mit eiserner Hand zu regieren, aber diese Situation war ihr bereits jetzt offensichtlich über den Kopf gewachsen. »Ja, das ist meine Mutter, Leonora. Mutter, das ist Professor Kinsey vom Lehrstuhl für Zoologie.«
Prok ergriff die Hand der alten Dame und drückte sie. Auf seiner Brust glänzte Schweiß, die Muskeln und Adern seiner Arme zeichneten sich infolge der harten Arbeit deutlich ab, und auf seinem Bauch sprossen blaßblonde ergrauende Haare. Neben der alten Frau ragte er auf wie ein Vorzeitmensch, ganz Fleisch und Präsenz, doch aus seinem Mund kam die Sprache reinster Höflichkeit und Kultiviertheit. »Ich habe gehört, Sie leben in Cleveland?«
Die Augen der alten Dame lagen tief in den Höhlen. Sie konnte kaum eine bejahende Antwort krächzen.
»Ein Juwel von einer Stadt«, sagte Prok und kratzte sich in den Achselhaaren des linken Arms. »Ein erstklassiges Museum. Absolut. Ganz zu schweigen vom Symphonieorchester. Das sind Dinge, um die ich Sie wirklich beneide, Mrs. Hoenig. Aber bitte, lassen Sie uns nicht auf der Straße stehen – kommen Sie doch herein, und ich zeige Ihnen meine Freude und meinen Stolz. Sie mögen doch Lilien?«
Die Mutter der Dekanin nickte stumpf und warf ihrer Tochter einen hilflosen Blick zu. Dean Hoenig setzte ihr schmallippiges Lächeln auf, und das war kein freundliches Lächeln, nein, ganz und gar nicht. »Ich fürchte, wir müssen weiter, Professor Kinsey, aber es war sehr nett von Ihnen, uns –«
Prok unterbrach sie. »Seien Sie nicht albern«, sagte er, nahm den Arm der alten Dame und steuerte mit ihr auf das Gartentor zu, »das macht überhaupt keine Mühe – im Gegenteil, es macht mir Freude, und wie oft bekommt Ihre Mutter schon ein solches botanisches Wunder zu sehen, und das auch noch in voller Blüte? Finden Sie nicht auch, Mrs. Hoenig?«
Die Mutter der Dekanin hatte keine Gelegenheit, ihrer Meinung Ausdruck zu geben, denn dies war der Augenblick, da sie meine fast nackte Gestalt vor den Hydrogeas erblickte. (Prok hatte mir einen Vortrag über meine, wie er fand, übertriebene Schamhaftigkeit gehalten, und ich war nach und nach zu dem Schluß gekommen, daß er recht hatte. Obgleich meine Gartenkleidung normalerweise nicht so minimalistisch wie seine war, trug ich an diesem Tag nichts weiter als einen braunen Lendenschurz, den er für mich angefertigt hatte, und erdverschmierte Tennisschuhe ohne Socken.) Sie fuhr zurück, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen, aber Prok hielt ihren Arm und führte sie den Weg entlang zu mir. Die Dekanin stapfte mißmutig hinterdrein. »Mrs. Hoenig«, sagte er, »darf ich Ihnen meinen Assistenten John Milk vorstellen? Milk, das ist Mrs. Hoenig. Die Dekanin kennst du ja wohl ...«
Als ich die Hand der alten Dame nahm und sanft schüttelte, spürte ich, daß die Dekanin mich mit Blicken durchbohrte. Sie war auf fremdem Territorium und bereits besiegt: Sie würde sich mit ihrer Mutter den Garten ansehen und Proks pausenlosen Monolog anhören müssen, und dabei würde sie etwas über den natürlichen Zustand des Menschen erfahren, ob sie nun wollte oder nicht, aber sie konnte nicht anders, sie mußte mich einfach aufs Korn nehmen. »Ja, natürlich, vom Eheseminar«, sagte sie. »Aber Sie warten mit der Hochzeit wohl noch bis nach dem Examen, nicht wahr, John?«
Ich lernte. Von Prok. Vom Meister persönlich. Und ich zuckte nicht zusammen, ich schlug nicht die Augen nieder, mein Gesicht verriet nichts. »Eigentlich nicht«, sagte ich. »Ich meine, wohl nicht.«
Die alte Dame stieß einen Ausruf der Begeisterung über die Iris aus, eine Art langgezogenes, mattes Gurren, und Prok war entzückt und ermunterte sie, näher zu treten, doch bevor die Dekanin mir noch weiter zusetzen konnte, sah er über die Schulter zurück und sagte: »Er hat eine andere kennengelernt, stimmt’s, Milk?«
Was blieb mir anderes übrig, als zu nicken?
Als die beiden Frauen, mit Schnittblumen
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