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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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schon eine ganz besondere Sorte Mensch sein muß, um andauernd in der Unterwäsche von anderen Leuten herumzuwühlen?«
    Ich betrachtete ihn mit einem Blick, der vom Spiegel durch den ganzen Raum reflektiert wurde: Da saß er auf dem Bett, ein Kleingeist, der mit jedem Augenblick kleiner wurde. Ich antwortete nicht.
    »Ich will damit nicht sagen, daß der Professor ein komischer Kauz oder ein Perversling oder so ist, aber dir ist doch wohl klar, daß alle Welt dich für einen halten wird? Und was ist mit deiner Mutter? Meinst du, das wird ihr gefallen – als Karriere-Entscheidung, meine ich?«
    »Ich hab dir schon tausendmal gesagt«, antwortete ich und zog mir das Jackett an, »das ist reine Wissenschaft, Forschung, wie auf irgendeinem anderen Gebiet. So wie Lister, der die Antisepsis begründet hat, oder der Kerl mit dem Schimmelpilz auf dem Brot. Warum sollten wir nicht soviel wie möglich darüber herausfinden, was die Spezies Mensch tut?« Ich stand an der Tür und war im Begriff zu gehen, blieb aber stehen, um ihm Gelegenheit zu einer Antwort zu geben.
    »Die Spezies Mensch? Du hörst dich schon genauso an wie er, John, merkst du das eigentlich? Das sagt er auch immer. Aber was ist mit menschlichen Wesen, gemacht zum Ebenbilde Gottes? Was ist mit uns? Was ist mit der Seele?«
    Plötzlich ärgerte ich mich über ihn. »Es gibt keinen Gott. Und auch keine Seele. Weißt du, was du bist?«
Er richtete sich nicht auf, hob nicht mal den Kopf. »Nein, aber ich nehme an, du wirst es mir gleich sagen.«
»Du bist ein Spießer, das bist du«, belehrte ich ihn und überließ es der Tür, diese Wahrheit zu unterstreichen.
Mrs. Lorber saß im Schaukelstuhl auf ihrem Posten und nickte mir zu. Ich grüßte sie mit einem verkrampften Lächeln, und dann war ich draußen, die flaumigen Weidenkätzchen an der Ecke blühten, die festen, blassen Knospen standen wie Kerzenflämmchen auf den Zweigen, und der warme Südwind brachte die Verheißung des nahenden Frühlings. Als ich die Atwater Street überquerte, fiel mein Blick auf eine schlanke, dunkelhaarige junge Frau mit aufregenden nackten Beinen; sie entfernte sich unter den Alleebäumen, und ich dachte an Iris. Ich hatte sie seit einem Monat, seit ich sie versetzt hatte, nicht gesehen, und ich hatte ein schlechtes Gewissen deswegen, aber je länger ich es aufschob, mit ihr zu sprechen, desto schwieriger wurde es.
Ein Wagen fuhr langsam vorbei, so langsam, daß ich dachte, der Fahrer wolle parken. Ein alter Mann mit hartem, angespanntem Gesicht hielt das Lenkrad, als befürchtete er, man könnte es ihm entreißen. Ich blickte ihm lange genug nach, um zu sehen, wie er von zwei Radfahrern überholt wurde: Er sah weder rechts noch links und ließ nicht erkennen, ob er sie oder irgend etwas anderes überhaupt bemerkte. Ich begann davon zu träumen, daß ich eines Tages einen eigenen Wagen hätte: dann könnte ich einfach über die Hügel und davonfahren, hinaus aus der Stadt, bis sich die Landstraße vor mir entrollte und mein Ziel überall sein konnte. Studenten gingen in beiden Richtungen an mir vorbei. Zwei Hunde saßen hinter einem Gartenzaun und ließen mich nicht aus den Augen.
Als ich in die First Street abbog, sah ich vor mir ein junges Paar. Die Frau lehnte sich an den Mann, bis die beiden wie eine Einheit waren, die sich auf vier im Gleichschritt gehenden Beinen fortbewegte, und um sie nicht überholen zu müssen, wechselte ich die Straßenseite; ihr Anblick und die Art, wie sie einander zu vervollständigen schienen, ließ mich wieder an Iris denken. Was ich getan hatte, war unentschuldbar, und ich nahm mir vor, sie gleich am nächsten Tag anzurufen – ich würde mich zusammenreißen und es einfach tun –, und wenn sie mir sagte, ich solle tot umfallen, vertrocknen und verschwinden, dann wäre immerhin die Situation geklärt. Und daß ich das verdient hätte, war nicht zu leugnen.
So ging ich dahin. Sofern ich die verschiedenen Aktivitäten der Natur in dieser Jahreszeit der Erneuerung bemerkte, sofern ich den Duft der Forsythien roch oder die Vögel sah, die, Grashalme oder Zweige quer im Schnabel, auf die Bäume flogen, so drangen diese Eindrücke jedenfalls nicht in mein Bewußtsein. Es war eben Frühling, und ich war auf der First Street unterwegs zu den Kinseys. Zum Abendessen.
Prok selbst öffnete mir die Tür. Er trug seine Gartenshorts und sonst nichts. Die Beine waren schlank und muskulös, und die nackten Zehen strichen über die polierten Dielenbretter aus

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