Dr. Sex
Tante Marjorie und Mac saßen. Mac hatte ihre Schuhe ausgezogen und ging immer wieder ins Haus, um mit einem Tablett voller Kanapees oder den Persimonentörtchen zurückzukehren, die sie mir zu Ehren am Morgen gebacken hatte.
Wir sprachen über alles, nur nicht über den Krieg, denn der Krieg fand irgendwo weit jenseits des Ozeans statt, und dieser Tag gehörte uns – Tommy, Iris und mir –, und es gab keinen Grund, düstere Gedanken zuzulassen. Meine Tante, die nie sehr gesprächig war, es sei denn, sie klatschte mit ihrer Schwägerin, saß mit gekreuzten Beinen in einem Korbstuhl und lächelte wehmütig, vielleicht dachte sie an ihren Mann, der bei Ypern gefallen war. Wenn Mac uns Gesellschaft leistete, sprach sie gewandt über alle möglichen Themen, unter anderem über Pfadfinderinnen, Stricken – hier horchte Tante Marjorie ein wenig auf – und natürlich die Sexforschung. Alles war sehr entspannt.
Als die Kinder ihre Krockettpartie beendeten und der Jubelruf eines Mädchens erklang, stand Iris vom Rasen auf und strich ihr Kleid glatt, als hätte sie seit dem Frühjahr im Gras gelegen. »Kommt, laßt uns auch ein Spiel machen«, sagte sie. »Du und ich und Tommy. Na los.«
Vielleicht zögerte ich (das ist gut möglich, denn infolge ihrer – und Macs – Anwesenheit sowie der goldfarbenen Flüssigkeit in dem mitgeführten Flachmann war mir sehr geruhsam zumute), doch sie ließ keinen Widerspruch gelten.
»Na los«, wiederholte sie. »Oder habt ihr Angst zu verlieren?« Sie trug ein ärmelloses Sommerkleid und reckte sich, brachte die Fersen zusammen und hob den angewinkelten rechten Arm, damit wir ihre Muskeln bewundern konnten. »Die hättet ihr nämlich zu Recht. Ich muß euch leider sagen, daß ich die Krockettkönigin des ganzen Viertels war.«
»Als du neun warst vielleicht«, sagte Tommy. Auch er erhob sich vom Rasen.
Wir spielten eine träge Partie. Die Sonne stand über uns, und Iris machte Jagd auf unsere Kugeln und krockettierte sie in die Blumenbeete, wann immer sich die Gelegenheit bot. Wir lachten schallend und ließen den Flachmann kreisen. Ich glaube, ich war noch nie glücklicher. Nur eines trübte das Bild: der Blick, den Prok uns zugeworfen hatte, als er mit meiner Mutter vom hinteren Teil des Gartens zurückgekehrt war. Sein Gesicht war einen Augenblick lang ganz nackt gewesen, der Mund mißbilligend verkniffen, und ich hatte mich gefragt, welcher Sünde, welcher Übertretung wir uns schuldig gemacht hatten, bis mir eingefallen war: Prok haßte alle Spiele. Spiele waren unproduktiv. Spiele waren eine Zeitverschwendung oder vielmehr ein Zeitvertreib, was auf dasselbe hinauslief. Für Prok besaß nur die Arbeit einen Wert, und er konnte nie verstehen, daß wir (wieder Corcoran, Rutledge und ich) auch nur Augenblicke mit Tätigkeiten verbrachten, die nicht direkt mit dem Projekt zu tun hatten. Wir hatten vielleicht zwölf Stunden lang Sexgeschichten aufgezeichnet und kehrten ins Hotel zurück, um uns zu entspannen, Radio zu hören oder Karten zu spielen, doch Prok bestand darauf, daß wir uns in die Fachliteratur vertieften, damit wir unsere Funktion noch besser erfüllten und die Forschung voranbrachten.
Einmal – ich greife hier acht bis zehn Jahre vor – waren Prok, Corcoran und ich auf Forschungsreise in Florida, um Geschichten zu sammeln. Wir waren den weiten Weg von Indiana dorthin gefahren, damit Prok zu einer Gruppe von Universitäts-Verwaltungsdirektoren sprechen konnte, die in Miami eine Reihe von Seminaren veranstalteten, und wir hatten fünf Tage lang vom Frühstück bis um zehn oder elf Uhr abends Geschichten aufgezeichnet. Am letzten Tag vor unserer Rückfahrt nach Indiana, in den ewigen Winter, waren wir schon um acht Uhr abends fertig, und Corcoran und ich hielten aus einer Laune heraus an einem Minigolfplatz an. Corcoran war ein überaus extravertierter Mensch: fröhlich, verbindlich, immer auf der Suche nach einem sexuellen Abenteuer. An diesem Abend saß er am Steuer, denn Prok, auf dem Beifahrersitz, blätterte, mit einer Taschenlampe fuchtelnd, in den gesammelten Interviews. »He, John«, rief Corcoran, »siehst du das, da vorne links?«
Ich saß auf dem Rücksitz, beugte mich vor und sah, was er meinte. Es war eine glitzernde Spiellandschaft, erleuchtet von bunten Lichtern, die in die Nacht über Florida sickerten, und darüber hing ein Schild: T EETER ’ S M INIGOLF .
»Wie wär’s mit einer Pause und ein bißchen Entspannung?« fragte er und bog bereits von
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