Dr. Sex
der Straße ab, als Prok zerstreut aufsah.
Corcoran hatte eine antiautoritäre Ader, eine jungenhafte Verspieltheit, die Prok auf eine Art tolerierte, wie er es bei keinem anderen getan hätte, und die in diesem Augenblick etwas in mir weckte. Warum nicht* dachte ich. Warum nicht mal eine Auszeit nehmen, und sei es nur für eine Stunde? »Klar«, sagte ich, »das wäre ... das wäre Klasse! Ich hab noch nie ... Und morgen fahren wir schon wieder zurück ...«
Und bevor Prok Einwände erheben konnte, waren bereits vollendete Tatsachen geschaffen. Der Wagen stand neben dem Kassenhäuschen auf dem mit Kies bestreuten Parkplatz, Corcoran und ich zahlten den Eintritt und suchten uns Schläger aus, und die ganze Zeit raschelten die Palmen in einer Brise, die so warm war wie zu Hause die Heizung. Wir müssen zwei Stunden oder länger gespielt haben. Wir waren unbeschwert und ein bißchen albern, wir fühlten uns wie Jungen, die, bei aller Banalität der Situation, doch stets in Konkurrenz zueinander standen und sich anstrengten, um zu gewinnen, ganz gleich, wie unbedeutend dieser Sieg auch sein mochte. (Ich habe ihn an jenem Abend übrigens geschlagen, wenn auch nur knapp.) Aber Prok. Prok versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, aber im Grunde war er außer sich. Er konnte es einfach nicht verstehen. Er begriff nicht, warum erwachsene Männer sich wie Halbwüchsige benahmen und kostbare Zeit verschwendeten, die sonst dem Projekt, der Arbeit, der Anhäufung von Wissen und dem Fortschritt der Kultur zugute gekommen wäre. Er ging auf und ab. Er rief uns von der anderen Seite des Zauns. »Corcoran. Milk.« Seine Stimme war ein klägliches Nölen. »Ihr haltet das Projekt auf!«
Doch am Tag der Examensfeier wußte ich noch nichts von Proks kompromißloser Ablehnung dessen, was er als »belangloses Treiben« bezeichnete – jedenfalls war mir das Ausmaß seiner Ablehnung nicht so klar, wie es mir später werden sollte –, und der Blick, den er uns zuwarf, uns, die wir eine harmlose Partie Krockett spielten, gab mir zu denken. Ich versuchte, ihn zu analysieren, ihn zu dechiffrieren. War die Feier vorüber? Hatte meine Mutter etwas zu ihm gesagt – oder er zu ihr –, was das Gesicht des Tages verdüstert hatte? Wußte meine Mutter über das Verhältnis zwischen Prok und mir oder Mac und mir, und hatte sie eine Bemerkung darüber gemacht?
Wie sich herausstellte, traf keine dieser Befürchtungen zu. Prok war einfach Prok. Wir brachten unser Spiel zu Ende und setzten uns dann wieder im Schatten auf den Rasen, und Prok ging ins Haus und kehrte mit einem Geschenk für meine Mutter zurück – einer besonders knotigen, aber unbewohnten Galle, die er durch einen Schellacküberzug zu einem Kunstobjekt gemacht hatte –, und als sie ihm dankte, entdeckte ich einen Anflug von Komplizenschaft zwischen den beiden und wußte nicht, was ich davon halten sollte. Es gab irgendeine Übereinkunft, und in diesem Augenblick ging mir auf, daß es nichts mit mir zu tun hatte: Prok, nahm ich an, hatte über das Projekt gesprochen und sie wie praktisch jeden anderen davon überzeugt, ihm ihre Geschichte zu erzählen. Die Geschichte meiner Mutter. Am folgenden Tag oder noch am selben Abend würde sie ihm zwei Stunden lang gegenübersitzen und die dreihundertfünfzig Fragen beantworten: über ihre Masturbationsgewohnheiten, wie oft sie sich selbst bis zum Orgasmus stimulierte und mit welchen Männern sie seit dem Tod meines Vaters geschlafen hatte.
Danach wurde alles ein bißchen unscharf, und ich weiß nicht, ob das, was als nächstes passierte, eine direkte Folge davon war – auch um dies herauszufinden, brauchte man einen Psychiater, und Prok haßte Psychiater –, aber ich weiß noch, daß ich mich entschuldigte und die Gruppe auf dem Rasen verließ, daß ich Iris und auch meine Mutter dort sitzen ließ und auf dem gewundenen Weg zum Haus ging, wo Mac, wie sie gesagt hatte, einen kleinen Imbiß zubereitete. Ich trat ein, ohne zu klopfen, ein geehrter Gast, beinahe ein Mitglied der Familie. Die Kinder waren nirgends zu sehen. Alles war still. Die Möbel schienen sich skelettartig und umschattet in die Tiefen des Raums zurückzuziehen, die Schallplatten lehnten schräg in den Regalen, als warteten sie auf die Hand dessen, der sie zum Leben erwecken würde. Von fern, aus dem Garten, hörte man das Summen der Stimmen.
Ich fand Mac in der Küche, wo sie, mit dem Rücken zu mir, an der Theke stand. Sie war noch immer barfuß, hatte aber eine
Weitere Kostenlose Bücher