Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
Vom Netzwerk:
Bruder sein. Du hast wirklich Glück, weißt du das ?«
Iris war still geworden und lehnte mit dem Rücken an der Wand, die Schultern hochgezogen, als wäre ihr kalt. Sie musterte mich. Die Arme – schöne Arme, entzückende Arme, die bezauberndsten, vollkommensten Arme, die ich mir vorstellen konnte – hatte sie vor der Brust verschränkt, doch nun ließ sie sie sinken, als als wollte sie sich für mich öffnen. Wir hatten uns schon zuvor hier geküßt, genau an dieser Stelle, wo man uns vom Empfang aus nicht sehen konnte, doch diese Küsse waren zurückhaltend und gesittet gewesen, oder vielmehr so gesittet, wie man es erwarten konnte angesichts der Tatsache, daß wir uns an der schummrigsten Stelle des ganzen Raums an die Wand drückten und unsere Zungen gerade erst begonnen hatten, eine neue Funktion zu entdecken. Iris wollte von Petting oder vorehelichem Sex irgendwelcher Art nichts wissen. Sie war als Katholikin erzogen worden, und das saß ihr immer im Nacken. Das, was man ihr übergestülpt hatte, schränkte sie ein, aber sie war nicht imstande, sich davon zu befreien. »Das macht dir doch nichts aus, oder?« flüsterte sie eines Abends. Ich spürte ihren heißen Atem auf dem Gesicht, ich schmeckte sie auf meinen Lippen. »Nein«, sagte ich, »es macht mir nichts aus.«
Doch jetzt – an diesem Abend, an meinem großen Abend, dem Vorabend der Abschlußfeier und all der damit verbundenen Ungewißheit – umarmte sie mich und drückte sich an mich, so daß ich ihre weichen Brüste spürte. Ihre Stimme war so leise, daß ich sie kaum verstand. »Küß mich«, flüsterte sie.
    Die Feier verlief nach Plan, die Reden waren hinreichend inspirierend, das Wetter spielte mit, und als President Wells Hände schüttelte und einem nach dem anderen sein Diplom überreichte, kam aus Richtung Illinois eine leichte Brise auf, die unsere Roben bauschte und an den Frisuren der Frauen zupfte. Danach gab es bei Prok einen Empfang für geladene Gäste – er bestand darauf, er wollte von Einwänden nichts hören, es war das mindeste, was er für einen jungen Mann tun konnte, der ihm eine solche Hilfe war –, und so genossen wir die Blumen, Macs Punsch und Proks Liköre. Meine Mutter verstand sich nicht sonderlich gut mit Mac, was nicht weiter ungewöhnlich war – sie trug ihre Zurückhaltung stets wie eine Rüstung und wurde mit anderen, wenn überhaupt, dann erst beim vierten oder fünften Zusammentreffen warm –, doch hier war noch etwas Tieferes, Komplexeres im Spiel, und wahrscheinlich würde ich in diesem Zusammenhang Freud zitieren, wenn Prok mich nicht so stark gegen ihn eingenommen hätte.
    Bei Prok dagegen war es ganz anders: Er schien ihr sofort sympathisch zu sein. Natürlich gab er sich auch die größte Mühe, damit meine Mutter sich wie zu Hause fühlte. Er konzentrierte sich voll auf sie, führte sie durch den Garten und fragte sie nach ihrer Meinung zu den Dahlien oder den Heliotropen oder den Azaleen, die anscheinend einen sehr sauren Boden bevorzugten – hatte sie es mal mit Kaffeesatz probiert? Das Ausbringen von Kaffeesatz war, soweit Prok hatte feststellen können, die einfachste und billigste Methode, um den pH-Wert des Bodens zu verändern. Man mußte natürlich achtgeben, daß es nicht zu einer Chlorose führte, aber die ließ sich durch den Zusatz von Eisenchelat verhindern, das selbstverständlich gut untergearbeitet werden mußte ...
    Ich sah, wie sie sich langsam vom Zentrum der Party entfernten. Meine Mutter hielt in einer behandschuhten Hand ein winziges Likörglas, die Sonne schien auf ihre Hutkrone und verwandelte die einzelne lange Feder in ein durchscheinendes Leuchten, und Prok nickte und gestikulierte, während er sie den Weg entlangführte. Er war formell gekleidet und trug, was wir (Corcoran, Rutledge und ich) insgeheim seine Uniform nannten: einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine ordentlich gebundene Fliege mit zweifarbigem geometrischem Muster. Ich bemerkte, daß er ein bißchen angespannt war, weil er seine Arbeit für einen ganzen Tag vernachlässigen mußte, zuerst wegen der Abschlußfeier, an der natürlich der gesamte Lehrkörper teilnehmen mußte, und dann wegen dieser kleinen Zusammenkunft, doch für das ungeschulte Auge war er so ruhig und charmant wie ein Plantagenbesitzer in den Südstaaten, der einen Gast über seinen von Sklaven bewirtschafteten Besitz führt. Die Kinder spielten eine ausgedehnte Partie Krockett, während Iris, Tommy und ich unter einem Baum bei

Weitere Kostenlose Bücher