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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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nach, blies mit gespitzten Lippen auf ihren Tee, hob die Tasse an den Mund und musterte mich über den Rand hinweg. Ihre Hände waren schön, ebenso wie ihre Augen und die einander überlagernden Wellen ihrer Haare. Ich war auch in sie verliebt, in Mac, und hatte mir etwas vorgemacht, als ich gedacht hatte, das, was zwischen uns war, sei rein biologisch. Und was hatte Prok zu seinen Kritikern gesagt, zu den Leuten vom Schlage eines Thurman B. Rice und all den anderen, die ihm vorgeworfen hatten, er beraube das Geschlechtliche seiner spirituellen Komponente und betrachte es unter rein mechanistischen Aspekten? Sie haben drei Jahrtausende Zeit gehabt, sich über die Liebe zu verbreiten – jetzt sollen sie mal der Wissenschaft eine Chance geben. Ich hatte ihm zugestimmt, ich hatte dieses Credo übernommen und es wie ein Abzeichen getragen. Es war ein Kampf – wir gegen sie –, ein Kampf von Wissenschaft und Forschung gegen den süßlichen Quatsch, den man im Radio hörte oder auf der Leinwand sah. Aber jetzt wußte ich es nicht mehr. Ich wußte gar nichts mehr. Ich war zu aufgewühlt und verwirrt, um essen zu können, und legte das Wurstbrot beiseite.
Als wir Schritte auf der Vorderveranda hörten und kurz darauf die Haustür quietschte und mit dumpfem Knall ins Schloß fiel, lächelte Mac plötzlich. »Weißt du was?« sagte sie, und der Hammer schlug in einem langsamen, gemächlichen Rhythmus, der der eines Trauermarschs hätte sein können. »Ich glaube, ich werde mal mit ihr sprechen.«
Aber wieder habe ich das Gefühl abzuschweifen, denn hier geht es ja um Prok – jedenfalls sollte es um ihn gehen. Prok war der bedeutende Mann, nicht ich. Ich hatte bloß das Glück, ihm von Anfang an helfen und mit meinen bescheidenen Mitteln zum Fortschritt des Projekts und der Kultur insgesamt beitragen zu dürfen. Prok definierte sich vor allem über seine Arbeit, und seine Kritiker – all jene, für die die Sexualwissenschaft bloß ein Anlaß für anzügliche Witze und pubertäres Gekicher ist, als wäre sie es nicht wert, daß man sich mit ihr befaßt, als wäre sie eine Pseudowissenschaft wie die Erforschung von außerirdischem Leben oder von Ektoplasma oder dergleichen –, all sie sollen ruhig wissen, wie groß seine Hingabe war. Ich werde Ihnen ein Beispiel aus jener Zeit geben. Ich weiß nicht mehr, ob das, was ich jetzt schildere, vor oder nach dem kleinen Gespräch stattfand, das Mac und Iris miteinander führten; auf jeden Fall wirft es ein bezeichnendes Licht auf Proks Zielstrebigkeit und Engagement. Und auch aus einem anderen Grund ist es von Interesse: Es war die einzige Situation, in der unsere Rollen vertauscht waren, in der ich der Lehrer und er der Schüler war.
Aber ich hänge das schon wieder zu hoch. Jeder x-beliebige hätte Prok beibringen können, was er wissen wollte – ich war nur gerade zur Hand, das war alles. Wir saßen eines Abends gegen sechs in seinem Büro und hatten stundenlang kein Wort gewechselt, als ich hörte, daß Prok sich erhob. Ich saß gebeugt über einer Rohzeichnung von Kurven, die die Häufigkeit verschiedener Orgasmusquellen bei partnerlosen Studenten darstellten, und sah daher nicht auf, doch ich hörte, daß eine Schublade des Aktenschranks geöffnet und wieder geschlossen wurde, und anschließend wurde ein Schlüssel im Schloß gedreht. Das alles waren Anzeichen, daß Prok die Arbeit für heute beenden wollte. Einen Augenblick später stand er neben mir.
»Weißt du, John«, sagte er, »da Clara und die Mädchen bei diesem Pfadfinderinnentreffen sind und mein Sohn offenbar ganz und gar von einem Schulprojekt in Anspruch genommen ist und bei einem Freund übernachtet – bei den Casdens, sehr anständigen Leuten –, habe ich gedacht, wir könnten vielleicht den Abend zusammen verbringen ...«
Ich glaubte zu wissen, was er meinte, und hatte gewiß andere Pläne – über Iris zu grübeln stand ganz oben auf meiner Liste –, doch ich nickte. »Ja«, sagte ich, »klar.«
Er war erfreut, ja entzückt, und schenkte mir sein strahlendes Lächeln. Seltsamerweise schüttelte er mir die Hand, als hätte ich ihm soeben den Schlüssel zu einem Königreich übergeben. »Wir werden einen Happen essen, und vielleicht können wir das mit einer Ubungsstunde verbinden, und zwar auf einem Gebiet, auf dem meine Fähigkeiten leider zu wünschen übrig lassen. Das heißt, ich möchte meine Technik verbessern.«
»Deine Technik?«
»Meine Interviewtechnik.«
Ich sah ihn entgeistert an und sagte

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