Dr. Sex
sinngemäß, er sei ein ausgezeichneter Interviewer und ich könne mir nicht vorstellen, wie er sich auf einem Gebiet verbessern sollte, wo er bereits perfekt sei.
»Sehr freundlich«, murmelte er, drückte meine Hand noch einmal und ließ sie los. »Aber es gibt niemanden, der sich nicht noch verbessern könnte, und wie du weißt, fühle ich mich unter ausschweifenden Menschen nicht so wohl, wie ich sollte.«
»Ausschweifenden Menschen?«
»Wo verbringen wir den größten Teil unserer Zeit – wenn wir Feldforschungen treiben, meine ich?«
Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
»In Kneipen, Milk. In Bars und Raststätten, auf Partys und ande- ren Versammlungen, wo es geradezu unabdingbar ist, zu rauchen und zu trinken, und du weißt, wie ... wie ungeschickt ich bin, oder vielleicht wäre ›ungeübt‹ im Zusammenhang mit diesen spezifischen Tätigkeiten das bessere Wort.«
Ich konnte ihm noch immer nicht folgen. »Ja? Und?«
Er lachte, ein kurzes, abgehacktes Lachen, das kehlig begann und nasal endete. »Na, liegt das nicht auf der Hand? Auf diesem Gebiet bist du der Experte, Milk. Und ich bin der Neuling.«
»Du meinst, du willst, daß ich ...«
»Ganz recht. Ich will, daß du mir Unterricht gibst.«
Als wir an jenem Abend zu dem Haus in der First Street zurückkehrten, hatten wir eine braune Papiertüte dabei, in der Schinkensandwiches, drei Schachteln Zigaretten, zwei Zigarren, ein Liter Bier, je ein Dreiviertelliter Bourbon, Scotch, Gin, Rum und Wodka sowie die gängigen Mischgetränke waren. Möglicherweise regnete es. Im Haus war es kalt. Prok machte Feuer im Kamin, und dann reihten wir unsere Einkäufe auf dem Couchtisch auf, versahen uns mit Eiswürfeln, den passenden Gläsern und Aschenbechern und fingen an.
Zuerst kamen die Zigaretten. »Du brauchst nicht zu inhalieren«, sagte ich, denn ich wußte, wie gräßlich er das Rauchen fand. »Klemm sie einfach in den Mundwinkel, so« – ich zeigte es ihm –, »beug dich beim Anzünden vor, schüttle das Streichholz mit einer Bewegung aus dem Handgelenk aus, zieh den Rauch in den Mund, so, behalt ihn für einen Augenblick dort und stoß ihn dann aus. Nein, nein, nein, behalt die Zigarette im Mundwinkel und laß den Rauch einfach aufsteigen. Genau. Kneif die Augen ein bißchen zusammen. Siehst du, jetzt hast du die Hände frei und kannst nach deinem Glas greifen oder, wenn du gerade ein Interview machst, die Antworten notieren. Ja, und jetzt kannst du sie zwischen Zeige- und Mittelfinger nehmen und dann die Asche abklopfen. Richtig. Genau. Sehr gut.«
Natürlich verabscheute er es. Er verabscheute den Geruch, den Geschmack, das ganze Konzept, er verabscheute den Rauch, der ihm in die Augen stieg, und das Gefühl des feuchten Papiers auf den Lippen. Und beim zweiten oder dritten Zug inhalierte er versehentlich, bekam einen Hustenanfall und wurde ganz blaß. Die Augen quollen so sehr vor, daß ich fürchtete, sie würden ihm aus dem Gesicht fallen. Mit den Zigarren war es noch schlimmer. Irgendwann trat er vor den Spiegel, um zu prüfen, wie er aussah, wenn er auf das aufgeweichte Mundstück einer White Owl biß, und kam dann wortlos ins Wohnzimmer zurück und warf das Ding ins Feuer. »Ich verstehe es einfach nicht«, sagte er. »Es ist mir ein Rätsel. Wie kann man behaupten, es sei ein Genuß, getrocknete Blätter unter seiner Nase oder sonstwo zu verbrennen? Und den Rauch dann auch noch einzuatmen? Und Männer mit Gesichtsbehaarung, mit Barten ? Wie machen die das ? Es ist das reinste Wunder, daß nicht sämtliche Bars in Amerika abgebrannt sind.« Er ging auf und ab. »Es ist unglaublich. Unglaublich.«
Beim Alkohol ging es besser. Ich schenkte ihm zunächst einen Bourbon ein, mein Lieblingsgetränk, und riet ihm, etwas Wasser oder Soda hinzuzufügen, aber er bestand darauf, ihn pur zu trinken, und zwar mit der Begründung, wenn er sich ein Standardgetränk aussuchen solle, etwas, das er in irgendeiner Kneipe ganz selbstverständlich bestellen könne, um einem potentiellen Probanden die Befangenheit zu nehmen, dann müsse er den unverfälschten Geschmack kennen. Ich sah zu, wie er an dem blaßbraunen Getränk roch, den Kopf zurücklegte, den Bourbon im Mund herumspülte und dann, nach kurzem Nachdenken, zurück ins Glas spuckte. »Nein«, sagte er und verzog das Gesicht, »ich fürchte, Bourbon ist untauglich.«
Mit den anderen Kandidaten war es dasselbe (Bier, sagte er, rieche wie Sumpfgas und schmecke wie ein alter Schwamm, den man im Garten vergraben
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