Dr. Sex
»Hallo, John«, sagte sie und zwinkerte mir zu. »Schön, daß du wieder da bist.« Der große, bleiche Mond ihres Gesichts ging auf und wieder unter. »Ich hab ihr schon Bescheid gesagt.«
Zufällig kamen zwei Studentinnen durch die Tür, die zum Treppenhaus führte, und bevor sie sich zischend wieder schloß, erhaschte ich einen Blick auf Iris, die die Treppe herunterkam, und hatte ein paar Sekunden Zeit, mich zu sammeln. Ich strich mir über die Haare, legte die Hand vor den Mund und überprüfte meinen Atem, der nicht viel anders roch als die Flasche in meinem Zimmer. Ich hätte einen Kaugummi gebraucht, aber diese Gewohnheit hatte ich aufgegeben, weil Prok es im Büro verbot und an allen anderen Orten mißbilligte. Ich tastete in der Tasche nach dem Ring, stand stocksteif da und erwartete mein Schicksal.
Sie trug ihr schönstes Kleid, zu dem ich ihr wiederholt Komplimente gemacht hatte, und hatte offenbar viel Zeit auf ihre Frisur und ihr Make-up verwendet. Und wozu das? Wollte sie mir vorführen, was mir entging, was sie zu bieten hatte, was für einen Schatz sie darstellte? Als sie auf mich zukam, versuchte ich, in ihrem Gesicht zu lesen. Wieviel hatte Mac ihr erzählt? Und meine Lüge – war sie aufgeflogen? Ich war betrunken. Ich wollte die Arme ausbreiten und Iris an mich drücken, doch ihr Lächeln hielt mich davon ab: Es war ein verkniffenes Lächeln, tapfer und gezwungen, und ihr Kinn zitterte, als würde sie gleich weinen. »Iris«, sagte ich, »bitte hör mich an. Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was ich getan habe oder was ich tun kann, um ... um es wiedergutzumachen, aber ich ...«
Die Rezeptionistin strahlte. Auf einem Sofa in der Nähe saß ein Pärchen, das sich zum gemeinsamen Lernen verabredet hatte – davon war allerdings nicht viel zu sehen, jedenfalls lernten sie nicht aus Büchern oder Mitschriften.
»Nicht hier«, sagte Iris, nahm meine Hand und führte mich zur Tür hinaus.
Die Nacht war mild, warme Luft hing über den Rasenflächen, die sich im Dunkel verloren, und die Laternen waren in Nebel gehüllt. Die Frösche quakten. Andere Paare tauchten schemenhaft aus dem Dunst auf und verschwanden wieder. Wir gingen Hand in Hand und ohne viel zu sagen über den Campus und landeten schließlich vor dem Institut für Biologie, wo wir uns bis zur Sperrstunde auf die Treppe setzten. Eine Stunde lang hielten wir einander umarmt, küßten uns und murmelten die üblichen Klischees, von denen die Liebe lebt, bis unsere Erregung sich langsam steigerte und ich sie mit belegter Stimme fragte, ob ich Proks Wagen holen sollte.
Wir waren vollständig bekleidet, und jeder, der vorbeikam, konnte uns sehen, aber es ist gut möglich, daß meine Hand unter dem Rock auf ihrem Oberschenkel lag. Und sie ... sie preßte ihre Hand auf den Schritt meiner Flanellhose, und dieser Druck, dieses langsame, herrliche, voll und ganz beabsichtigte Reiben verriet mir alles, was ich wissen wollte. »Nein«, sagte sie, zog ihre Hand aber nicht zurück, »heute abend nicht. Es ist schon spät.«
»Dann also morgen?«
Sie küßte mich leidenschaftlicher und fuhr fort zu reiben. »Morgen«, murmelte sie.
Es dauerte einen Augenblick, bis das zu mir durchdrang. Ich schwebte in der Nachtluft, als hätte ich meinen Körper verlassen, und ich dachte weder an Mac noch an Versionen von Wahrheit oder Unwahrheit. Ich tastete in meiner Tasche nach dem Ring. »Wenn das so ist«, sagte ich und hob ihre Hand keine Sekunde länger von meinem Schoß, als ich brauchte, um den Ring wieder auf ihren Finger zu stecken, »sind wir also wieder verlobt, oder?«
Die Hochzeit war so bescheiden, wie sie angesichts meines Einkommens, der Vermögensverhältnisse von Iris’ Eltern – ihr Vater lieferte für die Molkerei Bornemann’s in Michigan City und Umgebung Milch aus – und der herrschenden Ungewißheit sein mußte. Was allerdings nicht heißen soll, daß es keine schöne, erhebende Zeremonie war, eine Feier, an die ich mich mein Leben lang erinnern werde, von Gefühlen erfüllt, die den Prunk aller Fürstenhochzeiten der Welt aufwogen. Die Braut trug ein weißes Tüllkleid, und der Schleier brachte ihr Haar und das unbezähmbare Blitzen der Augen sehr gut zur Geltung. Der Bräutigam fand sich zu seiner Überraschung in einem geliehenen Smoking wieder, dem ersten, in den er jemals seine Schultern und seine geschwellte Brust gezwängt hatte. Die Trauzeugen waren Tommy und Iris’ Zimmergenossin, ein stattliches, bebendes Pferd von einer Frau
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