Dr. Sex
um die Scherben aufzusammeln.
Trotzdem verlief die Party so gut, wie wir gehofft hatten. Oder vielmehr noch besser. Dick und Ezra und die beiden Frauen – nennen wir sie Mary Jane und Mary Ellen – waren bei ihrem Eintreffen bereits reichlich beschicken, und hätten wir ihnen die Lammkeule am Spieß serviert, dann hätten sie es gar nicht mitgekriegt, und wenn, dann wäre es ihnen egal gewesen. Ich schnitt das Fleisch auf dem Herd und legte die Scheiben auf einen normalen Teller, allerdings erst nachdem Iris jedem ausgiebig Gelegenheit gegeben hatte, die Lammkeule in der Pfanne zu bewundern, und als wir bei Kaffee und Pfirsichkuchen angekommen waren, lachten wir über die zerbrochene Vorlegeplatte und den tölpelhaften Ehemann, der in der Küche zu nichts zu gebrauchen war. Mary Ellen, die rechts von mir saß, gab mir einen spielerischen Knuff auf die Schulter und nannte mich »Zitterfinger«. »Du bist ja ein richtiger Zitterfinger«, sagte sie, und beide Schwestern brachen in brüllendes Gelächter aus.
Ich brachte den Bourbon, damit wir unseren Kaffee veredeln konnten, und Ezra schenkte seine Tasse randvoll und stürzte sie hinunter, obgleich der Kaffee so heiß war, daß die anderen nicht mal nippen konnten. Dann bat er um mehr. Danach hatte er einen etwas abwesenden Blick, doch er saß glücklich und zufrieden da, einen Arm entspannt um Mary Janes Schultern gelegt, und schob mit der Gabel in seiner anderen Hand ein zweites Stück Kuchen auf dem Teller herum. Er und Dick, der im Herbst sein Graduiertenstudium begonnen und als Assistent am Lehrstuhl für Ingenieurwesen gearbeitet hatte, würden am nächsten Morgen zur Grundausbildung einrücken. Dies war ihr letzter Abend in Freiheit, ihre letzte Gelegenheit, und ich wollte – Iris und ich wollten –, daß es ein denkwürdiger Abend wurde. Es war noch Bier da, und als wir uns vom Tisch erhoben und ins Wohnzimmer gingen, schenkte Dick eine neue Runde Gin Tonic für sich und die Schwestern ein.
Schon am nächsten Morgen konnte ich mich an nicht mehr viel erinnern, und heute ist mir der ganze Ablauf noch viel unklarer, aber an irgendeinem Punkt drehte sich das Gespräch nicht mehr darum, wie Dick und Ezra die Wende herbeiführen, Hitler mit links erledigen und im nächsten Herbst als strahlende Helden zurück nach Amerika dampfen würden, sondern um mich und meine Situation. Dick saß zusammengesunken auf dem Sofa und hatte den Arm um Mary Ellen gelegt, so daß seine Hand leicht auf ihrem Busen ruhte. Das Radio war eingeschaltet, aber aus Rücksicht auf die Nachbarn leise gestellt. Aus dem Äther sickerte irgend etwas Bluesig-Stimmungsvolles. »Dann hat Kinsey dir also tatsächlich eine Zurückstellung verschafft, was?« sagte er.
»Kinsey?« fragte Mary Ellen. »Du meinst Professor Kinsey? Dr. Sex?«
Mary Jane, die engumschlungen mit Ezra auf dem Schaukelstuhl saß, hob kurz den Kopf und kicherte.
»Ja«, sagte ich. »Ja, Dr. Kinsey. Ich arbeite für ihn.«
»Forschung«, warf Iris ein. »Er ist phantastisch, wenn es um Statistiken geht, er zeichnet all die Kurven –«
Ezra schnaubte. »Das kann ich mir vorstellen. Ich sehe geradezu, wie er all diese Kurven zeichnet ...« Er und Dick lachten schmutzig.
Mary Ellen hatte gewisse Schwierigkeiten, ihren nächsten Gedanken zu formulieren. Ich sah, wie sie mit dem Satz kämpfte, bis sie ihn heraus hatte. »Du meinst ... du ... du bist so was wie ein Sexforscher?«
Ich saß auf einem der harten Küchenstühle, die ich ins Wohnzimmer getragen hatte, damit alle sitzen konnten. Ich hatte, wie gesagt, keinerlei Bedenken wegen meiner Arbeit, ich war Proks rechte Hand und in allem sein Schüler, aber ich hatte keine Lust, mich dafür zu rechtfertigen, nicht in gemischter Gesellschaft, nicht in meinem eigenen Wohnzimmer. Ich sah Mary Ellen in die Augen – ihre hübschen Augen waren, abgesehen von der verführerischen Figur, ihr größtes Kapital – und nickte nur.
Sie machte ein gurrendes Geräusch, wandte sich zu Dick und küßte ihn voll auf den Mund. Als sie absetzte, um Luft zu holen, lächelte sie kokett und sagte, Sex sei für sie das faszinierendste Thema überhaupt. »Ich liebe Sex«, sagte sie, noch immer mit diesem Gurren, »und ich liebe Männer. Tut mir leid, aber so bin ich nun mal.« Eine Pause. »Kannst du auch zusehen? Ich meine, wenn die Leute ... wenn sie« – sie blickte zu Iris, war sich nicht sicher, wie weit sie gehen konnte –, »wenn sie, na ja, wenn sie es machen?«
Die Zeiten, da ich bei
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