Dr. Sex
solchen Fragen errötete, waren längst vorbei, doch ich spürte, wie warm es in dem Raum war und daß die Augen meiner Frau und auch die von Dick und Ezra auf mir ruhten. »Nein«, sagte ich und hob die Hand, um meine Haare zurückzustreichen. »Nein, wir stellen nur –«
»Sie stellen nur Fragen«, antwortete Iris für mich. Sie sah mich mit einem Blick an, den ich nicht zu deuten vermochte. »Stimmt’s, John?« Mary Jane war wieder bei Bewußtsein. Sie saß auf Ezras Schoß, und ihr Lippenstift war in den Mundwinkeln zu großen Ovalen verschmiert. Der viele Alkohol und die späte Stunde gaben ihrem Blick etwas Stumpfes. Aus dem Radio ertönte das leise Klagen eines Saxophons wie der Schrei eines Erdrosselten und verklang. »Fragen?« sagte sie. »Was für Fragen?«
»Wie oft masturbierst du?« sagte Iris, ohne den Blick von mir zu wenden. »Mit wie vielen Männern warst du zusammen, wie viele Orgasmen hast du, wie oft hast du Oralverkehr mit deinem Freund? Solche Sachen eben.«
Schweigen. Dick hob den Kopf, als hätte er nichts von dem gehört, was wir in den vergangenen fünf Minuten gesagt hatten. »Ich weiß nicht«, sagte er, »aber immerhin bist du verheiratet und so weiter, und ich finde, man kann dir nicht vorwerfen, daß du dich hast zurückstellen lassen.«
Wieder Schweigen. Die Bemerkung hing über dem Abend wie etwas, das niemand berühren wollte, am wenigsten ich. Der Radiosprecher teilte uns mit, das Programm des Senders sei nun beendet, und wir alle starrten den Apparat an, bis nur noch statisches Rauschen zu hören war und ich fand, es sei langsam Zeit, zu Bett zu gehen. Schließlich kam Mary Jane lange genug hoch, um zu fragen: »Was ist Oralverkehr?«
Iris und ich hatten uns vorher darauf geeinigt, daß wir uns früh in unser Schlafzimmer zurückziehen würden, damit die beiden Paare von Sofa, Schaukelstuhl und der von der Heizung erzeugten angenehmen Zimmertemperatur profitieren konnten und nicht in irgendeinem zugigen Korridor herumstehen oder mit dem Rücksitz eines geliehenen Wagens vorliebnehmen mußten, und so zogen wir uns bald darauf zurück und überließen unseren Gästen das Wohnzimmer. Ich war, wie Iris, ziemlich erledigt, und ich glaube, ich ließ sogar das Zähneputzen ausfallen, bevor ich ins Bett fiel, als stürzte ich von einem hohen Sprungbrett ins Wasser. Ich schlief auf der Stelle ein.
Irgendwann wachte ich auf, weil meine Kehle vollkommen ausgetrocknet war. Das passiert mir oft, wenn ich getrunken habe. Ich hatte geträumt, ich sei in einen Drugstore gegangen und hätte ein Schokoladensoda bestellt, das sich wunderbarerweise in eine eiskalte, mit Wassertropfen beperlte Flasche Coca-Cola verwandelte, die sich in meiner Hand wie eine kalte Kompresse anfühlte, und im nächsten Augenblick stand ich auf und tappte barfuß zum Badezimmer. Meine Füße waren übrigens nicht das einzige Nackte an mir. Ich habe immer nackt geschlafen, jedenfalls seit meiner Pubertät, als meine Mutter nachts nicht mehr in mein Zimmer kam, um nach mir zu sehen. Vom Schlaf umfangen, hatte ich ganz vergessen, daß wir Gäste hatten. Im Grunde war ich noch immer betrunken. Trotzdem rief irgend etwas mir die Situation ins Bewußtsein: ein Duft, eine verstohlene Bewegung, das schwache Flackern der Kerze, die Iris im Wohnzimmer hatte brennen lassen.
Ich tastete mich mit unsicheren Schritten durch den Flur und merkte, daß ich nicht allein war. Da war noch jemand, ein schwärzerer Schatten, der sich in der Dunkelheit an der Wand direkt vor mir zu verdichten schien. Ich streckte die Hand aus und fühlte einen Körper, einen weiblichen Körper, strich über die beiden dazugehörigen Brüste, spürte die Wärme der Haut und der Zunge, hörte ein Flüstern: »Ich suche das Badezimmer ...«
Was hätte ein guter Gastgeber getan? Sie zum Badezimmer geführt. Ihr ein frisches Handtuch, ein Stück Seife, einen Tupfer Eau de Cologne gegeben. Ich tat nichts dergleichen. Ich hatte nicht mal Zeit, darüber nachzudenken. Eben noch hatte ich geschlafen, und nun stand ich hier, im Flur meiner Wohnung, und sammelte taktile Eindrücke von der glatten, erglühenden Haut einer fremden nackten Frau, während ich zugleich ein leises Schnarchen und das Ticken einer Uhr vernahm. Ihre Brustwarzen waren hart, ihre Vagina war feucht. Im nächsten Augenblick waren wir vereint, und ich habe deswegen nicht den Hauch eines schlechten Gewissens, denn es war der dem Augenblick entsprechende natürliche Impuls, unkompliziert, gesund,
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