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Dr. Siri sieht Gespenster - Cotterill, C: Dr. Siri sieht Gespenster - Thirty-Three Teeth

Dr. Siri sieht Gespenster - Cotterill, C: Dr. Siri sieht Gespenster - Thirty-Three Teeth

Titel: Dr. Siri sieht Gespenster - Cotterill, C: Dr. Siri sieht Gespenster - Thirty-Three Teeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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er sich nicht vorstellen, dass die Thais ihre Nachbarn mit laotischer Volksmusik unterhielten.
    Er stand vor der Tür und griff instinktiv nach seiner nicht vorhandenen Waffe. Eine neue Vorschrift verpflichtete die
Inspektoren, Waffen »nach Bedarf« bei der Waffenkammer anzufordern. Dazu waren neun Unterschriften nötig. Die uniformierten Beamten trugen zwar immer noch Pistolen, wollten sie diese allerdings mit Munition bestücken, mussten sie dazu dreizehn Unterschriften einholen. Letztlich waren ihre Waffen nur Attrappen. Wenn es zu einem spontanen Schusswechsel kam, standen sie auf verlorenem Posten: Seit dem Bürgerkrieg wimmelte es in diesem Land nur so von Waffen.
    Aber was konnte man mit einer Waffe schon gegen Musik ausrichten? Wieder einmal ärgerte er sich über seine mangelnde Selbstbeherrschung. Er holte tief Luft und stieß die Tür auf. Der Lichtstrahl seiner Taschenlampe erfasste einen Schreibtisch, einen Stuhl und einen Aktenschrank: kein Musiker weit und breit. Aber der Refrain hing deutlich hörbar in der Luft. Er ging um den Schreibtisch herum und stieß auf ein isoliertes Rohr, das von der Decke bis zum Boden reichte. Womöglich hatte es zu Zeiten der Franzosen Wasser in die oberen Stockwerke befördert, doch die Isolierung war verschlissen, und an einer Stelle war das Metall völlig durchgerostet. Dort klaffte nun ein großes Loch, aus dem die zarten Klänge einer laotischen Harfe, eines Xylophons und einer Flöte drangen.
    Da es in den unteren Etagen ruhig war, musste die Musik aus einem der oberen Geschosse kommen. Er ahnte auch schon, aus welchem. Siris Warnung klang ihm in den Ohren wie der hohle Singsang der Instrumente, aber er hatte keine andere Wahl. Ob es ihm gefiel oder nicht, es war seine verdammte Pflicht. Er musste den Männern mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn er nicht morgen früh mit dem Inhalt der Truhe aufs Revier kam, war er in ihren Augen eben so ein Feigling wie sie selbst.

    Er hatte das fünfte Stockwerk kaum erreicht, als urplötzlich der Mond erlosch. Woher in einer so klaren Nacht wie dieser eine so große, graue Wolke kam, konnte er sich beim besten Willen nicht erklären. Aber vorstellen konnte er es sich durchaus, und seine Fantasie war heute Nacht sein schlimmster Feind. Die Finsternis war so schwarz wie eine verbrannte Crème Caramel, und er musste seine ganze Willenskraft zusammennehmen, um die Taschenlampe ruhig zu halten.
    Mit zitternder Hand schloss er die Tür zu den beiden oberen Etagen auf. Das Siegel war unversehrt, woraus er schloss, dass seit dem zweiten »Unfall« niemand mehr dort oben gewesen war. Doch als er die Tür aufmachte, kam dasselbe schwermütige Klagelied zu ihm herabgeweht.
    Er trat einen Schritt zurück.
    »Also gut. Da oben läuft Musik. Na und? Hab dich gefälligst nicht so und hör auf, Selbstgespräche zu führen. Erstens stellt Musik keine Bedrohung dar, und zweitens gibt es dafür wahrscheinlich einen einfachen Grund.«
    Aber so sehr er sich auch das Hirn zermarterte, der Grund wollte ihm nicht einfallen. Langsam und bedächtig folgte er dem bebenden Lichtstrahl die Treppe hinauf in den sechsten Stock. Die dissonanten Klänge erfüllten die Dunkelheit ringsum und wurden mit jedem Schritt kraftvoller und lauter. Er spürte die Wucht, mit der die Hämmer auf die Xylophonstäbe trafen, am ganzen Körper.
    Oben angekommen, schloss er die Hand um den schimmernden Türknauf.
    »Phosy, du bist Polizist«, rief er sich ins Gedächtnis und wünschte, er hätte die verfluchten Unterschriften eingeholt. »Ein Polizist hat keine Angst.«
    Stimmen. Hinter der Tür. Er hörte sie klar und deutlich,
tiefe, gedämpfte Männerstimmen, die in der Musik fast untergingen.
    »Geh wieder nach unten, Phosy. Hol Hilfe. Fordere Unterstützung an. Und was willst du ihnen sagen? Dass du Musik gehört hast? Die lachen dich doch aus. Hör auf, Selbstgespräche zu führen.«
    Es gab nur eine Möglichkeit. Er umklammerte den Türknauf, holte noch einmal tief Luft und ging hinein.
    Tonscherben knirschten unter seinen Sohlen, und ringsum erhob sich ein Geschrei, das nicht menschlichen Ursprungs war. Obwohl seine Taschenlampe noch leuchtete, erhellte sie nichts. Er hielt sie sich vors Gesicht. Die Birne brannte taghell, verströmte aber kein Licht mehr. Sie war nutzlos geworden.
    Es war stockfinster, und nur vier winzige Lichtpunkte durchstachen das Dunkel. Nach und nach gewöhnten sich seine Augen an die verschwommenen Schatten. Die Lichter waren Kerzenflammen. Sie

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