Draakk: Etwas ist erwacht. (Horrorthriller) (German Edition)
herrschte ein ähnlich rustikaler Charme wie im Gasthaus Zum Schützen , jedoch hatte der Alte auf die vielen Bilder und Skatblätter an den Wänden verzichtet. Die einzige Schwarz-Weiß-Fotografie auf einer kleinen Anrichte zeigte einen älteren Herrn mit Hut und einem weißem Rauschebart in der Wanderkleidung des vorigen Jahrhunderts vor einer zerklüfteten Felswand, der ganz offenbar ein naher Verwandter und ebenso ein begeisterter Kletterer war, vielleicht der Vater oder Großvater des Alten.
Der Hausherr bedeutete ihnen, auf der kleinen lederbezogenen Couch gegenüber dem Kamin Platz zu nehmen, dann wuchtete er den dick gepolsterten Ohrensessel am Fenster herum, sodass er sich ihnen gegenüber niederlassen konnte.
Es gab ohnehin keine weiteren Sitzgelegenheiten im Raum, zählte man die dicke, von etlichen Bissen zerfetzte Wolldecke vor dem Kamin nicht mit. Und wessen Platz das war, wurde unmissverständlich klar, als der große Bernhardiner dorthin trottete und sich geräuschvoll auf die warme Unterlage plumpsen ließ. Er legte die Vorderpfoten neben das breite Gesicht und starrte sehnsüchtig in das Feuer – bald darauf schien der große Bernhardiner ganz in angenehme Hundegedanken versunken.
Der Alte stopfte sich gemächlich eine uralt aussehende Tabakspfeife, deren heimeliger Duft das kleine Zimmer bald darauf durchzog. Dann wartete er geduldig, bis seine Gäste einigermaßen aufgewärmt aussahen.
Schließlich richtete er seine angenehm sonore Stimme wieder an sie: »Also wie kann ich euch denn helfen, hm?«
Nachdem sich Singer nochmals umständlich für die spätabendliche Störung entschuldigt und der Alte dies mit einer wegwerfenden Handbewegung abgetan hatte, begann er damit, seine Geschichte zu erzählen und wie sie zur Geschichte seiner Tochter und der von Martin geworden war. Und wie sie die Unterlagen des Instituts schließlich zu ihm, Alois Suter, geführt hatten.
Der Alte hörte aufmerksam zu, unterbrach Singer nur gelegentlich, wenn er etwas nicht verstand. Offenbar waren die Errungenschaften des Internets völlig an ihm vorbeigegangen, aber er hatte das Prinzip ziemlich schnell verstanden, auch wenn ihn die fantastischen Möglichkeiten des Informationszeitalters kaum zu beeindrucken schienen.
Als Singer seine Erzählung beendet hatte, schwiegen sie alle eine Weile, während der Alte auf dem Mundstück seiner längst erloschenen Pfeife herumkaute. Schließlich stand er wortlos auf, wobei seine Kniegelenke ein arthritisches Knacken von sich gaben und ging wortlos aus dem Zimmer. Die drei Besucher schwiegen ebenfalls und starrten nachdenklich in die Glut des Kamins.
Tobi, der gigantische Bernhardiner, schien von ihrer Geschichte allerdings kaum beeindruckt. Er war von seinem gemütlichen Platz am Feuer aufgestanden und hatte seinen zotteligen Kopf mehrmals gegen Antonias Oberschenkel gedrückt.
Der alte Mann rumorte währenddessen in der Küche herum, öffnete und schloss Schränke und klapperte mit Geschirr.
Nach einer Weile kam er zurück in die Wohnstube, auf seiner Rechten balancierte er ein Tablett mit vier dampfenden Tassen und einem Teller mit Keksen. Das Tablett stellte er wortlos auf das winzige Tischchen vor dem Sofa. Er nahm sich eine der Tassen und führte sie zum Mund. »Selbst geröstet«, sagte er und nickte den dreien zu, es ihm gleichzutun. Dann lehnte er sich in seinen Ohrensessel zurück und begann damit, nachdenklich an dem dampfenden Getränk zu nippen.
Schließlich, und nachdem die anderen ebenfalls von ihrem starken Getreidekaffee gekostet hatten, der tatsächlich exzellent schmeckte – heiß und stark und voller Bergaroma –, begann der alte Mann zu sprechen.
Er erzählte ungeschönt und ohne Ausschmückungen von seinen Strapazen, aber die bloßen Fakten genügten durchaus, um den anderen eine Vorstellung von seinen schier übermenschlichen Leistungen im Inneren des Berges zu geben. Und von der an ein Wunder grenzenden Tatsache, dass er diese überlebt hatte.
Der alte Mann sagte: »Seht einmal, wie ich aus dem Berg gekrochen bin, da hat mich mein lieber Tobi hier gefunden.« Er warf einen liebevollen Blick auf das Tier, das bei der Erwähnung seines Namens den Kopf in seine Richtung drehte und die großen Schlappohren zu spitzen schien. »Ohne den Tobi wäre ich heute nicht mehr.« Eine nüchterne Darstellung, und doch voller Dankbarkeit einem Wesen gegenüber, das niemals »nur« ein Haustier für den Alten gewesen war. Viel mehr ein Begleiter, ein
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