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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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unheimlicher Grazie. Er war von einem hellen, glänzenden Gold, und seine Schwingen schimmerten rötlich.
    Wie kam es nur, dass es Christopher jedes Mal wieder überraschte, wie schön die Drachen waren? Warum muss Böses hässlich sein? Und – waren die Drachen böse? Tödlich, ja, vernichtend, aber böse? Jumar hatte gesagt, sie waren gar nichts ...
    »Du wirst doch jetzt kein Mitleid mit einem Drachen bekommen«, zischte er sich selbst zu.
    »Sie haben recht: Du bist verrückt. Ein vollkommen hoffnungsloser Fall.«
    Und jetzt! Jetzt war der Drache da! Er flog genau auf die bunt sprühende Fackel am Boden zu, die Klauen ausgestreckt – zielen, abdrücken – der Knall zerriss die Nacht, und Christopher taumelte zurück. Er hatte für einen Moment die Augen geschlossen, zwang sich aber, sie wieder zu öffnen: Und da war der Drache, noch immer in der Luft, unverletzt.
    Er flog weiter auf die Erde zu, auf die Farben der Fackel zu – als wäre nichts geschehen. Christopher blieb keine Zeit, noch einmal zu schießen. Und er wusste, dass es ohnehin nichts genutzt hätte. Es funktionierte nicht. Es war unmöglich, die Drachen zu erschießen. Man konnte nicht genügend Schmetterlinge auf einmal töten, um ihn außer Gefecht zu setzen. Hatte er es geahnt?
    Ein wenig Zeitlupe, dachte Christopher, wäre jetzt ausgesprochen nett. Ich könnte beeindruckend rückwärtskriechen, um dem Drachen zu entkommen. Denn: Nein, es ist nicht dunkel genug, da sind die Sterne, und: Ja, ihr Licht reicht aus, um einen Drachenschatten hervorzubringen, und: Ja, er wird genau über mich fliegen.
    In der Zeitlupe hätte man vielleicht sehen können, wie sich auch sein Körper in Bronze verwandelte ... und wie schließlich zwei glänzende, metallene Körper im Gras lagen, einträchtig nebeneinander:
    Brüder.
    Aber es gab keine Zeitlupe.
    Was geschah, geschah mit erbarmungsloser Schnelligkeit: keine Zeit, die Augen noch einmal zu schließen. Der Drache schoss genau auf den Boden zu, um die Fackel in seinen Klauen zu packen und dann über Christopher hinwegzustreichen. Doch er erreichte die Fackel nie.
    Ein Geräusch wie vom Flattern Tausender von Schmetterlingen füllte die Luft – Tausender von Schmetterlingen, deren Flug jäh gebremst wird. Und dann zappelten Tausende von Schmetterlingen – hauptsächlich goldene und rote – in einer dichten Schicht von tauglitzernden Spinnennetzen zwischen den hohen Grashalmen. Christopher schnappte nach Luft. Der Drache hing fest.
    Er war noch immer ein Drache, aber sobald die Spinnen erwachten und ihre Arbeit taten, Schmetterling um Schmetterling töteten und verdauten, würde er sich auflösen. Und er wusste es. Christopher sah, wie er verzweifelt versuchte loszukommen und sich immer hoffnungsloser verhedderte: Es war ein Kampf aus Gold und Rot – wie ein wahnsinnig gewordener Weihnachtsgabentisch.
    »Jetzt«, flüsterte Christopher. »Das ist es! Wir müssen –«
    Und er hob die Bronzestatue hoch, die nicht Arne war, und trug sie ganz nah an den kämpfenden Drachen heran – den Drachen, der auf den Flügeln seines gefangenen Schmetterlingskörpers die winzigen Schuppen hatte, der Arne wieder zu Arne machen konnte.
    Vielleicht.
    Wenn Gerüchte wahr waren.
    Nahe, ganz nahe heran schleppte er die Statue, trotz der Angst, die in seinen Ohren sang, trotz der Zweifel, die ihn plagten – er achtete darauf, sich dem Drachen so zu nähern, dass sein Schatten nicht auf ihn fallen konnte, und dann war er nahe genug: nahe genug, um eine bronzene Hand von Arne, der nicht Arne war – nicht mehr – noch nicht – in den Schmetterlingswirbel im Netz zu tauchen: in den hilflosen Körper des Drachen hinein. Nahe genug für die metallenen Finger, die Flügel der Schmetterlinge zu berühren, sie vielleicht zu zerquetschen: nahe genug, dass die wunderbaren Schuppen der zerbrechlichen Geschöpfe wie farbiger Staub auf die glatte, bronzene Oberfläche rieseln konnten.
    Aber der Drache wusste.
    Er schlug mit dem Schweif, versuchte, mit den Flügeln zu flattern, nutzlos, vergeblich.
    Und dann tat er in seiner Panik etwas, das Christopher vergessen hatte.
    Er öffnete das Maul und stieß eine Fontäne aus Feuer in die Luft. Eine ärgerliche, farbensprühende Fontäne – genau, wie es die Drachen getan hatten, die eines Nachts über die geschmolzenen Stadt geflogen waren. Aber die Flamme, die aus seinem Maul drang, war ungleich höher und stärker. Es war, als riefe der Drache mit der Macht der Verzweiflung um

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