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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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näher ...
    Er drehte sich zögernd um – und stieß mit jemandem zusammen.
    Dieser Jemand war größer als er, breiter und stärker. Er roch nach Ruß und verbranntem Stoff. Und er schloss seine Arme um Christopher.
    Christopher sah auf.
    »He«, sagte Arne, »he, Christopher! Was ist ... ich begreife nicht –«
    Da begann Christopher, hemmungslos zu heulen wie ein kleines Kind. Seine Tränen fielen in leicht angekohlten Stoff, und Arne murmelte »he, he« und »aber, aber" und »wenn ich bloß wüsste, was –«
    »Das gibt es nicht«, sagte Jumar und merkte, dass er begonnen hatte, auf und ab zu hüpfen wie ein kleiner Junge bei einem spannenden Theaterstück im Freien. »Er hatte recht. Er hatte die ganze Zeit über recht, Niya! Er hat es geschafft!« »Hm«, antwortete Niya. »Ja. Verdammt. Ja!«
    Sie schwiegen einen Moment. »Und alles andere –«, begann Niya.
    »Alles andere –«, sagte Jumar.
    »Dinge geschehen«, sagte Niya.
    »Aber – bist du – denkst du – du und Christopher?«
    »Nein. Dinge geschehen.«
    »Ungünstigerweise ...«, stotterte Jumar, »... ungünstigerweise bin ich ... würdest du ... das ist eine, wie soll ich sagen, etwas neue Erfahrung für mich ... aber ich sammle ja neue Erfahrungen.«
    Niya hielt ihn an den Schultern fest und sah ihm ins Gesicht. Und sah wenig, weil es dunkel war.
    »Ich fürchte, ich habe mich verliebt«, sagte Jumar.
    »In Christopher?«, fragte Niya und lachte leise.
    Und Jumar knurrte ein Nein.
    »Wir sollten jetzt wirklich zu ihnen gehen«, sagte sie. »Und uns – äh – wieder vertragen. Vielleicht.«
    Aber auf dem Weg streifte ihre Wange seine – oder war das nur das hohe Gras?
    »Und ich habe eine Idee«, sagte Jumar später, viel später, auf dem Weg durch die Nacht – denn keiner konnte mehr schlafen. »Eine Idee, wegen Kathmandu. Dem Chaos. Dem Ende.«
    »Das ist auch nötig«, sagte Arne freundlich.
    Er hatte sie nichts gefragt. Er würde mit ihnen nach Kathmandu gehen, ins Chaos.
    Die Stadt rief sie mit aller Macht.
    Es gab nichts mehr in den Bergen, was sie hielt. Die Zeit war gekommen, die Dinge zu ändern.
    Fern von den vier Gestalten, die sich an einem Seil die Felswand hinabgleiten ließen, saß Hauptmann Kartan auf seinem schwarzen Hengst und beobachtete die letzten Übungen seiner Truppen.
    In einem kahlen Raum in einer geschmolzenen Stadt drückte der große T seine Zigarette aus und trat ans Fenster.
    Der Anfang des Endes begann.
    Bald würde der Vorhang sich heben – die Schauspieler waren bereit.

Z entrales Bergland
    (Höhe: ca. 2800 – 1317 m)
    Flora:
    Tulpenbaum (Magnolia), Pipal-Baum (Ficus religiosa), Eukalyptus, Banyanbaum, Elefantengras, Hibiskus, Jasmin, verschiedene Mimosenarten, Banane, Papaya, Guave
    Fauna:
    Rhesusaffe, Schakal, Danfe-Pfau, Ringeltaube

Arne im Fluss
    Der Weg hinunter, südwärts, war länger als alle Wege, die Christopher je gegangen war. Die Zeit klebte an ihren Sohlen und hinderte sie am Vorwärtskommen, die letzten Gipfel weigerten sich zu weichen, und sie schienen plötzlich nicht weiter an Höhe zu verlieren. Es war eine dieser endlosen Wanderungen, die man im Traum macht und bei denen man niemals irgendwo ankommt –man geht auf der Stelle, man bewegt sich, ohne sich vom Fleck zu rühren.
    »Und wenn wir es nicht schaffen?«, fragte Christopher immer wieder. »Und wenn wir nicht rechtzeitig kommen?«
    Niemand sprach mehr von uns und ich, du und ihr, zusammen und alleine. Sie hatten die Grenze der Diskussionen erreicht, die Grenze von Streit und Vorwürfen – wie die größeren Höhen hatten sie sie einfach hinter sich gelassen.
    »Rechtzeitig – um was zu tun?«, fragte Arne.
    »Wir werden rechtzeitig kommen«, antwortete Jumar. »Und wir werden tun, was getan werden muss.«
    »Ich wette«, sagte Niya, »du hast noch keine Ahnung, aber du gehst davon aus, dass du es weißt, bis wir in Kathmandu sind.«
    »Nein«, erwiderte Jumar schlicht. »Ich habe doch gesagt: Ich habe eine Idee. Ich weiß genau, was wir tun werden.«
    In der ersten Abenddämmerung ihrer Reise zu viert berichtete er ihnen von seinem Plan.
    Das Gras war wieder gewichen, und um sie breitete sich eine jener Mondlandschaften aus Schotter und Geröll aus. Sie machten ein Feuer, mitten auf dem Mond, zwischen den Steinen, und öffneten eine Konservenbüchse mit eingelegter Fleischpastete, und keiner scherte sich darum, dass sie seit zwei Jahren verfallen war.
    »Wacholder«, sagte Jumar. »Christophers Wacholder.«
    Alle starrten

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