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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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allem. – Oder«, fügte er nach einer Weile hinzu, »jedenfalls für mich.«
    Die Hand, die er drückte, war aus kalter Bronze und erwiderte seinen Druck nicht.
    Sie konnte es nicht. Sie würde es vermutlich nie wieder können.
    Er ahnte, dass Niya recht hatte. Dennoch schulterte er die Statue – und als er langsam den Weg entlangging, fühlte er sich so hohl wie sie. Wohin ging er?
    Der Abend kam, und das Licht der untergehenden Sonne fing sich in Hunderten von Spinnennetzen, die sich zwischen den hüfthohen Grashalmen spannten wie eine seltsame Sorte filigraner Verzierung. Christopher sah, wie sie zerfielen, wenn er hindurchging, und aus einem unbestimmten Grund vertiefte das die Trauer noch, die ihn gepackt hatte. Es gab nichts, was unzer-stört blieb. Nichts, was währte.
    Er legte die Statue und sein Gewehr ins Gras und wartete, dass die Sonne unterging. Und als sie es tat, bettete er seinen Kopf zum Schlafen auf Jumars Rucksack, den er immer noch mit sich herumschleppte. Da war etwas in dem Rucksack, was ihn durch den Stoff hindurch stach. Er zog den Reißverschluss auf und griff hinein – und da fand er am Boden des Rucksacks unter Konservenbüchsen und Munition, Wachs-Streichhölzern zwischen durchweichten Geldscheinen, Stücken von Paketschnur und einem Paar Handschuhen die zerkrümelten Überreste von Ästen, von Rinde ... er zog die Hand heraus und starrte im letzten Licht des Tages die Zweige an. Und dann erinnerte er sich.
    Wacholder.
    Jene besondere, unerklärliche Sorte Wacholder, den sie als Fackeln hatten benutzen wollen. Benutzt hatten: harzige, bunt sprühende, feuerwerkartige Wacholderfackeln ... und ein Drache, angelockt von den glühenden Farben ... Christopher atmete tief durch.
    »Das«, sagte er zu einem leblosen Bronzeding neben sich, das ihn vermutlich nicht hörte, »das ist die Lösung. Damit haben wir den Drachen. Den Drachen, dessen Schmetterlingsstaub wir brauchen. Wie haben ihn. Beinahe schon.«
    Er legte das Gewehr bereit. Die Streichhölzer. Den größten heilen Wacholderzweig, den er fand. Seine Hände waren seltsam ruhig.
    »Jumar hat gesagt, es sind nichts als Schmetterlinge«, sagte er zu Arne, der nicht Arne war. »Und also kann man keinen Drachen erschießen. Deshalb hat Niya nicht getroffen. Aber nicht einmal Niya ist unfehlbar. Vielleicht hat sie wirklich danebengeschossen. Immerhin hing sie dabei in einer Steilwand. Und – es ist die einzige Möglichkeit. Ich muss ihn treffen. Den Drachen, den ich anlocken werde. Und dann kann ich die Schmetterlinge fangen, es werden genügend sein, um ein paar zu fassen zu kriegen, nicht wahr? Und dann wirst du den Staub auf deiner Haut fühlen, wenn du aufwachst. Und wenn du nicht aufwachst ... wenn du Bronze bleibst, dann –«
    Er vollendete den Satz nicht.
    Stattdessen strich er ein Streichholz an. Er verbrauchte siebzehn der dünnen, wächsernen Hölzer, ehe es ihm gelang, den Wacholderzweig zu entfachen. Doch schließlich, beim achtzehnten Holz, gelang es. Und Christopher bohrte den brennenden, knisternden, farbensprühenden Zweig mit einiger Mühe in die harte, kalte Erde zwischen den hohen Grashalmen: In den Spinnennetzen glitzerte jetzt der Tau – wie tausend Edelsteine glommen seine Tropfen, beleuchtet vom Wunder der Wacholderharz-Fackel. Sie war etwas niedriger als die Grashalme, etwas tiefer als die Netze – und wieder würden die Kunstwerke Dutzender von Spinnen zerstört werden, wenn der Drache sie zerriss, um an die Fackel zu kommen. Ringsum war es dunkel. Dunkel genug, um den Drachen keinen Schatten werfen zu lassen? Aber würde der Drache – irgendein Drache – kommen?
    Christopher wartete einige Meter von der Fackel entfernt. Würde sie lange genug brennen, dass ein Drache sie von ferne sah? Würde es funktionieren? Würde der Staub der Schmetterlingsflügel Arne zurück in Arne verwandeln?
    »Dies«, flüsterte Christopher, »ist unsere einzige Chance.«
    Das Wort »Chance" hing noch in der Luft, da wurde jene Luft aufgewirbelt von der Bewegung riesiger Schwingen – oder waren es viele, winzige Schwingen?
    Christopher triumphierte, und dann schlossen sich die Krallen der Angst um sein Herz.
    Er legte das Gewehr an, duckte sich tiefer ins hohe Gras, spürte neben sich den leblosen Metallkörper –
    Das schwache Glimmen des Drachen in der Nacht erinnerte ihn an die Drachen in der geschmolzenen Stadt. Ein wenig nur leuchtete er, gerade genug, um sehen zu können, wie er sich näherte – schemenhaft, voll

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