Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
Vom Netzwerk:
nichts genützt. Sie haben gebettelt, aber die Kämpfer haben keinen einzigen von ihnen am Leben gelassen. Wir haben ihre Körper ans östliche Ende des Flugplatzes gebracht. Nur den am Eingang nicht, den ihr gefunden habt. Er, im Schatten, ist in Vergessenheit geraten.«
    »Vier«, sagte Arne, »vier Flugzeuge, sagt Ihr? Es gab vier?«
    Der Alte nickte.
    »Und drei davon sind mit den Kämpfern nach Kathmandu geflogen?«
    Wieder nickte er.
    »Ich verstehe nicht – wo ist das vierte?«
    Der Alte wiegte nachdenklich den Kopf.
    »Der vierte Pilot war unterwegs, als sie kamen«, antwortete er. »Sie wussten nicht, dass es einen vierten gab. Es sind schon so lange keine Touristen mehr gekommen, dass die Piloten angefangen haben, seltsam zu werden. Der vierte war der seltsamste von ihnen. Er hat all sein Geld in Treibstoff umgesetzt und angefangen, Runden über den Bergen zu fliegen – ganz alleine, ohne Passagiere. Sie sagen, er hat nicht mehr gegessen, er ist nur noch geflogen, und jeden Abend kam er zurück und fiel auf sein Lager wie tot. Es macht keinen Sinn. Er hat den Verstand verloren. Wir dachten, er würde versuchen, das Land zu verlassen. Mit einem Flugzeug ist vieles möglich. Manche der Leute haben angefangen zu planen. Aber er, er ist jeden Abend zurückgekommen.«
    »Bis heute«, sagte Arne.
    In diesem Moment hörten sie das Motorengeräusch. Sie blickten alle gleichzeitig zum Abendhimmel auf, der rasch dunkler wurde.
    Das Flugzeug flog ohne Lichter – kaum mehr als ein Schatten vor dem Grau der drohenden Nacht. Sie sahen zu, wie es eine Schleife über dem Ort beschrieb, und Christopher fühlte sich an die Drachen erinnert. Doch dies dort war nichts als eine Maschine, silbergrau, metallen, ohne Anmut, ohne Schrecken. Bedeutungslos.
    Doch je tiefer sie sich herabschraubte, desto mehr gewann sie an Bedeutung – eine neue Bedeutung. Und in dem Moment, in dem sie ihre Räder ausfuhr und den Grund der Landebahn berührte, wurde sie zum Träger des kostbarsten Gutes unter der Abendsonne, ohne dass ihr Pilot etwas davon wusste: zum Träger der Hoffnung.
    Niya öffnete das Gittertor, und sie rannten los.
    Der Pilot des letzten Flugzeuges hatte gerade festen Boden unter den Füßen, als er vier Figuren über einen leeren Flugplatz auf sich zulaufen sah. Er blinzelte verwirrt. Wo waren die anderen Maschinen? Weshalb war es so still ringsum? Und wer waren diese vier Fremden?
    Er machte einen Schritt zurück, schüttelte den Kopf, blieb verwundert stehen.
    Jetzt hatten sie ihn erreicht, keuchend, außer Atem. Drei von ihnen konnten kaum älter sein als vierzehn Jahre.
    »Was –?«, begann er.
    »Es gibt wieder Passagiere«, sagte ein Mädchen mit kurzem Haar. Von Weitem hatte er sie für einen Jungen gehalten, doch jetzt sah der Pilot, wie schön sie war. So schön, dass er noch einmal verwundert den Kopf schüttelte.
    »Es lohnt sich wieder zu fliegen«, fuhr sie fort. »Es lohnt sich vielleicht zum ersten Mal wirklich. Wie viele Passagiere haben in Ihrer Maschine Platz?«
    Es war verrückt. Absolut verrückt.
    Aber sie sagten ja ohnehin, dass er ein Verrückter war.
    Und so stieg der vierte Pilot an jenem Abend zurück in sein Flugzeug, und vier Passagiere kletterten hinter ihm in die Maschine.
    Ihre Geschichte war verworren und verwirrend, und er hatte gerade erst begonnen, sie zu begreifen. Sein Kopf hing noch in den Gipfeln, über die er an diesem Tag geflogen war – seine Gedanken waren noch gefangen im glitzernden Schnee, dem schimmernden Abendlicht auf den Gletschern, den Spitzen der Berge, die er nicht verlassen konnte.
    »Es ist zu dunkel«, sagte er, ein letzter Versuch, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. »Niemand fliegt, wenn es so dunkel ist. Nicht in diesen winzigen Flugzeugen. Es ist nicht erlaubt.«
    »Es kümmert niemanden mehr«, sagte Jumar, »was in diesem Land erlaubt ist und was nicht. Das Chaos kommt. Ihr werdet es sehen. Der König liegt im Sterben, und die Maoisten –«
    Der Pilot legte erschrocken den Finger an die Lippen.
    »Es macht keinen Sinn mehr zu schweigen«, fuhr Jumar fort, beinahe wütend, und Christopher legte ihm die Hand auf den Arm: ruhig, ruhig.
    »Namen sind nichts als Seifenblasen«, flüsterte Jumar. »Sie sind hohl. Nichtssagend. Ich kann es tausend Mal aussprechen, und nichts wird geschehen: Die Maos sind vor Kathmandu, die Kommunisten, die Aufständischen, die Terroristen, die Kämpfer.«
    Der Pilot zuckte bei jedem Wort zusammen wie unter einem Hieb.
    »Doch wenn

Weitere Kostenlose Bücher