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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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endgültig verlassen.
    Ein breiter, einladender Weg führte zwischen den Mauern hindurch, und mehr und mehr Obstbäume grüßten sie mit den Spitzen ihrer Äste. Eine sanfte Melancholie lag über dem Ort.
    Irgendwo krähte ein falsch gestellter Hahn.
    »Aber er hat recht«, sagte Niya. »Für uns ist es Morgen. Zeit, in eines von Arnes Touristenflugzeugen zu steigen und hier wegzukommen.«
    Sie strich sich mit einer gewohnten Bewegung das Haar aus dem Gesicht, doch ihr Haar war kurz und nicht mehr im Weg. Stattdessen hörte Christopher, wie sie die Luft scharf zwischen den Zähnen einsog. Seit die Falle, die das Böse hatte fangen sollen, über ihr und Jumar zugeschnappt war, zog sich ein klaffender Riss quer über ihre Stirn – die Spur eines herabrollenden Steines, die immer wieder tropfenweise Blut verlor.
    Auch Jumar war zerschrammt und voller blauer Flecken. Und die Schusswunde an Christophers Oberarm brannte, wenn er an sie dachte.
    Er versuchte, nicht an sie zu denken. Er versuchte, nicht daran zu denken, wie dreckig sie waren. Er versuchte, sich nicht zu fragen, wann er das letzte Mal seine Kleidung gewechselt hatte – vor Beginn ihrer Reise?
    Es wurde Zeit, dass diese Reise ein Ende nahm. Aber noch nahm sie kein Ende. Noch lag vieles vor ihnen, von dem sie nichts ahnten.
    Der Weg stieß auf eine breite Sandstraße, die Gärten wichen zweistöckigen Häusern, von oben bis unten behängt mit Schildern:
    »Tickets air of plane«, »Sleeping back forest«, »Best foot before Everest«, »Kodak film rolce«, »cheapiest sun glace and bin-oculars" und so weiter und so fort.
    Der Ort war nicht mehr als ein Schlauch, eine äußere Haut aus Restaurants und Geschäften, die Ausrüstung für Wanderer verkauften, und in der Mitte jene breite, sandige Straße. Einen Moment lang überlegte Christopher, ob die Flugzeuge wohl hier auf der Straße landeten, doch kurz darauf gab es zwischen den Häusern ein Tor. Dahinter lag die Landebahn, parallel zur Straße. Ein Kontrollhäuschen aus rohen Brettern zierte den Eingang, doch es war still und dunkel.
    Sie standen am Tor und starrten durch seine Metallstäbe wie Tiere in einem Käfig. Die Landebahn war leer. Es war kein einziges Flugzeug zu sehen.
    »Vielleicht sind sie alle in irgendeiner Halle«, meinte Jumar ohne Überzeugung. Es gab keine Halle.
    Niya zeigte stumm auf das Bretterhäuschen. »Es ist jemand da«, sagte sie.
    Und da sah auch Christopher den Umriss im Schatten – den reglosen Umriss eines Menschen.
    Sie traten vorsichtig näher. Etwas stimmte nicht. Die Bretterbude glich den Schaltern, an denen sie an anderen Flugplätzen Pässe kontrollierten, und in dem kleinen Fenster saß ein Soldat. Er regte keine Miene. Er schien sie anzusehen, aber seine Augen waren seltsam starr.
    Niya griff durch das glaslose Fenster und packte ihn an der Schulter.
    Er reagierte nicht. Er rutschte ein wenig in ihre Richtung, das war alles. Sie legte ihre Hand auf seine Wange und schüttelte den Kopf.
    »Tot«, stellte sie fest. »Mausetot.«
    Christopher spürte Augen in seinem Rücken, andere Augen, und drehte sich um.
    Die Sandstraße war nicht länger leer. Einige zaghafte Gestalten waren aus ihren Häusern getreten, hielten sich im Schatten der Wände und beobachteten sie. Ängstlich, feindselig.
    »He!«, rief Christopher, und die Hälfte von ihnen verschwand augenblicklich wieder hinter Türen, die lautlos zuklappten. Die anderen blieben stehen und starrten weiter.
    »Was ist hier geschehen?«, fragte Arne.
    Niemand antwortete.
    Da ging Arne auf die Gestalt zu, die am nächsten stand – behutsam, mit weichen Schritten, wie man auf ein Tier zugeht, das leicht erschreckt und fortläuft. Es war ein alter Mann, der krumm über einen Stock gebeugt dastand. Christopher sah ein ängstliches Flackern in seinen Augen, doch er blieb stehen. Arne hatte sie noch immer: diese Magie, die er auf die Menschen ausübte. Christophers Lächeln mochte dem seinen gleichen, dachte er, aber es würde niemals diesen Zauber auf die Leute ausüben.
    Arne war jetzt ganz nahe bei dem alten Mann, und er fragte noch einmal – leise, kaum hörbar:
    »Was ist hier geschehen?«
    »Sie«, antwortete der Alte. »Sie waren da. Die Kämpfer. Sie haben gesagt, sie brauchen die Flugzeuge. Es gibt nur vier. Drei davon sind nach Kathmandu geflogen, mit zu vielen Männern an Bord. Die Piloten wollten widersprechen, aber sie hatten Angst. Die Soldaten, die den Flugplatz bewachten, hatten auch Angst. Denen hat es

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