Drachen der Finsternis
dass wir einen etwas rasanteren Einstieg hatten. Sie müssen in der Nähe hier hinuntergeklettert sein, und irgendwo werden sie wieder ans Tageslicht klettern, und das werden wir ebenfalls tun.«
»Wie viele waren es?«
»Drei. Und sie schienen es eilig zu haben. Sie sind ein gutes Stück vor uns, keine Sorge.«
»Hast du gehört, weshalb sie es eilig hatten?«
Es war ihm, als zögerte Jumar einen winzigen Moment lang.
»Nein«, antwortete dieser dann. »Sie waren schweigend unterwegs.«
Auch Jumar und Christopher wanderten schweigend das Ufer entlang. Manchmal stützte Christopher sich noch auf seinen unsichtbaren Begleiter, wobei ihm aber stets dessen Füße in die Quere kamen, und nach einer Weile ließ der Schwindel etwas nach.
»Ich wünschte, ich wüsste«, flüsterte er, »wie lang dieser Weg ist. Das würde es leichter machen.«
Sie gingen eine Ewigkeit. Ab und zu blieben sie stehen und ruhten ein paar Minuten aus, doch dann fingen sie jedes Mal an zu frieren.
Irgendwann verließ Christopher alle Kraft, und er fragte sich beinahe ärgerlich, ob Jumar niemals müde wurde. Wie gern hätte er sich einfach fallen lassen und wäre nie wieder aufgestanden! Sein Magen knurrte, und sein Kopf hatte wieder begonnen zu dröhnen.
»Können wir eine einzige, längere Pause machen?«, fragte er schließlich. »Es ist mir egal, ob ich erfriere.«
»Ich bin so froh, dass du das sagst«, flüsterte Jumar. »Ich kann schon seit einer ganzen Zeit nicht mehr. Aber ich wollte nicht der Erste sein, der aufgibt.«
Da lachte Christopher.
Sie setzten sich nebeneinander auf einen großen Felsen, der wenigstens nicht nass war, und Jumar knipste die Taschenlampe aus, um die Batterien zu sparen. So saßen sie lange im Dunkeln und hörten einander atmen.
»Ich habe noch die Fruchtgummidrops«, sagte Jumar nach einer endlosen Zeit. »Wir müssen etwas essen. Sonst schaffen wir es nicht.«
»Oh, bitte«, stöhnte Christopher. »Nicht diese Fruchtgummidrops!«
Aber sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen bei dem Gedanken an Essen, und so steckte er kurz darauf einen klebrigen Klumpen in den Mund, den Jumar ihm reichte. Auf eine geheime Weise hatte sich der Geschmack der Masse verbessert, und er kaute dankbar darauf herum.
»Weißt du«, sagte Jumar irgendwann, »wenn dies alles vorbei ist, wird er mir den Schlüssel geben.«
»Welchen Schlüssel?« Christopher kratzte mit dem Finger ein Stück Fruchtgummi von seinem Backenzahn.
»Den Schlüssel zu jenem Raum im Palast, der nur einmal im Jahr geöffnet wird«, antwortete Jumar. »Oder vielleicht öffnet er ihn heimlich. Ich glaube, das tut er.«
»Wovon redest du?«
»Du hast nichts davon gehört?«
»Nein.«
»In dem Raum steht ein einziger Tisch, und auf dem Tisch steht eine Schatulle. Sie ist mit Gold beschlagen und mit Silber verziert –«
»Also ungefähr so geschmackvoll wie der Siegelring«, bemerkte Christopher.
»Was?«
»Nichts. Erzähl weiter.«
»Der Deckel der Schatulle trägt Diamanten und Rubine, und sie ist ur-, uralt. Im Museum in Kathmandu gibt es eine Kopie davon, aber das ist, wie gesagt, nur eine Kopie. Die richtige Schatulle steht in jenem verschlossenen Raum. Der Raum befindet sich im dritten Stock, ganz am Ende eines langen Korridors. Durch das Schlüsselloch sieht man nur Schwärze, denn er hat kein Fenster. Ich meine: Natürlich hat er kein Fenster, sonst könnte ja jemand von außen kommen und versuchen, die Schatulle zu stehlen. Einmal, zu Neujahr, gibt es eine große Prozession. Der König ist dabei und eine Menge seiner Soldaten, und die Schatulle wird durch die Straßen getragen, in einer Art Sänfte, komplett mit Vorhängen. Die Leute streuen gefärbte Reiskörner und Blumen, wenn die Prozession vorüberzieht, und wer ein Stück der Schatulle durch die Vorhänge der Sänfte glänzen sieht, von dem sagt man, dass sein folgendes Jahr ein glückliches sein wird.«
»Aber was ... ist in der Schatulle?«, fragte Christopher.
Jumars Stimme klang feierlich, und selbst das Echo schien zu verstummen, als er sagte: »Die Macht des Königshauses.«
»Die ... Macht? Wie kann sich Macht in einer Schatulle befinden?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Jumar. »Aber wenn ich zurückkehre, wird er mir den Schlüssel geben. Bestimmt. Denn dann wird alles anders sein. Und ich werde die Macht nehmen und die Drachen zerschmettern und den Feldern ihre Farben zurückgeben. Ich werde den Hunger vertreiben und den Hass in den Menschen, wie es
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