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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Fieber sprach. Sie betteten ihn neben das Feuer und gaben ihm von ihrer Suppe, und später behauptete die Alte, die ohne Augenlicht, die nur die Geräusche wahrnahm, da wären zwei Jungen gewesen, eng zusammengedrängt, und sie hätten die Suppe geteilt. Aber auf die Alten soll man nicht hören.
    In dieser Nacht hörten Christopher und Jumar am Feuer ein Märchen, an das sie sich später lange erinnern würden. Die blinde Greisin erzählte es, ihre Spinnenfinger wanderten dabei unstet durch die Luft, und die Schatten ihrer Bewegungen malten Figuren an die Lehmwände des niedrigen Raumes.
    Christopher umfasste die Metallschale mit der Suppe mit beiden Händen, und es tat ihm leid, dass er sie Jumar nicht geben konnte, denn der hatte seine Handschuhe mit den übrigen nassen Kleidern ausgezogen. Und als niemand hingesehen hatte, waren die Kleider neben denen von Christopher am Feuer erschienen – als hätten sie sich selbst dort aufgehängt. Eine Decke war unbemerkt verschwunden, die hatte Jumar wohl um seine bloßen Schultern gelegt. Nun verschwand von Zeit zu Zeit der Blechlöffel. Christopher hoffte, dass auch das niemand bemerken würde.
    In der Suppe schwammen Nudeln wie Fäden, aus denen man Geschichten spinnt.
    Christopher entdeckte auf einem nicht ganz gerade zusammengezimmerten Regal einen ganzen Vorrat von Packungen in bunt bedrucktem Plastik, und er las mit einigem Erstaunen den Aufdruck Maggi.
    Die Suppe war das Beste, was er gegessen hatte, seit er auf so merkwürdige Art in dieses merkwürdige Land geraten war, und er konnte sich nicht genug darüber wundern, wie Maggi- Ins - tant-Nudeln den Weg hier herauf in die Einsamkeit der Berge gefunden hatten.
    Nun, sie hatten es getan, und das war die Hauptsache.
    »Wenn niemand schlafen kann, muss erzählt werden«, flüsterte die Alte heiser. »Wenn erzählt wird, kann keiner auf die Schüsse lauschen. Vor langer, langer Zeit...«
    Ihre Finger verknoteten sich überlegend, »als die Märchen noch wahr waren und nicht einmal ich geboren, da gab es in einem Land irgendwo eine wunderschöne Prinzessin. Sie war so schön, dass die Berge erzitterten, wenn sie in ihren Hängen spazieren ging, und die Zikaden verstummten, wenn sie sie sahen. So schön, dass die Dichter bei Hofe keine Worte für ihre Schönheit fanden und die Musiker alle davonliefen, weil die wunderbarsten ihrer Lieder vor der Schönheit der Prinzessin hässlich und gemein klangen – wie das Geräusch von Wagenrädern im Sand. Alle Vögel des Königreiches sangen von ihrer Schönheit, und sie waren es auch, die den Ruf der Königstochter in die Berge trugen, weit hinauf, wo niemand mehr wohnt und niemand sich mehr hinwagt. Es überraschte die Vögel, dass sie dort einen Wanderer vorfanden, und sie sangen ihr Lied von der Schönheit der Prinzessin für ihn mit besonderer Sorgfalt, denn er sah so einsam und verloren aus.«
    Christopher sah, wie die Kleider am Ofen kurz verschwanden –wie ein Flackern nur, eine Einbildung, eine Täuschung des Auges. Jumar testete, ob sie schon trocken waren. Er sollte sich nur vorsehen, dachte Christopher. Früher oder später würde jemand doch bemerken, dass etwas nicht stimmte. Und dann würden die Gerüchte in den Dörfern ihnen vorauslaufen, sie verfolgen, neben ihnen gehen und sie einkreisen wie eine Meute hungriger Hunde. Man wusste nie, wozu Gerüchte in der Lage waren ...
    »Der Wanderer lauschte ihrem Gesang«, fuhr die Alte fort, und einen Moment war Christopher verwirrt und dachte an singende Gerüchte. Aber nein. Sie sprach von Vögeln. »... und in der folgenden Nacht träumte er von der Prinzessin. Sie ging in der Ferne vorüber und sah ihn nicht, aber als er am Morgen erwachte, teilte er den Vögeln seinen Entschluss mit: Er würde ins Tal hinabsteigen, um die Prinzessin einmal mit eigenen Augen zu sehen. Die Vögel wollten ihn warnen, denn die Prinzessin war eine Prinzessin, und es ist nicht so leicht, eine Prinzessin mit eigenen Augen zu sehen – aber der einsame Wanderer war nicht von seinem Entschluss abzubringen. Er wanderte viele, viele Wochen, bis er die Stadt der Prinzessin erreichte, und auf dem Weg träumte er jeden Tag von ihr. Sie ging stets in der Ferne vorbei und zeigte ihm niemals ihr Gesicht. Als der Wanderer die Stadt erreichte, konnte er sein Glück kaum fassen, denn gerade an jenem Tag gab es ein Fest dort, und eine große Prozession zog durch die Gassen. Und mitten in der Prozession wurde auch die Prinzessin in einer Sänfte durch

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