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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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waren, hüllte ihr Lied sie ein wie eine ganz eigene Farbe.
    »Das ist seltsam«, hörte Christopher Jumar wispern, ganz dicht an seinem Ohr. »Sieh dir diese Reispflanzen an. Und die Pfade. Selbst die winzigen Blumen am Wegesrand, die Hütten ... jene, die schon wieder einen Hauch Farbe haben.«
    Christopher kniff die Augen zusammen.
    »Sie sind wie ein schlecht entwickelter Film«, flüsterte er schließlich. »Sie haben ... sie haben alle einen Rotstich –«
    Niya drehte sich um, und Christopher zuckte zusammen. Sie musterte ihn eine Weile, sagte aber nichts. Und dann hatten sie die erste kleine Gruppe zwischen den Feldern erreicht.
    Es waren drei Frauen und zwei Männer, und nun blieben sie stehen und legten die Hände zum Gruß zusammen. Christopher ertappte sich dabei, wie er die Frauen musterte: Obgleich sie die gleichen tarngrünen Hosen und die gleichen Stiefel trugen wie Niya, hatten sie sonst wenig gemeinsam. Sie verbargen ihr Haar unter gemusterten Tüchern, doch wo es daraus hervorlugte, sah er, dass es gekämmt war und glänzte, und um ihre Schultern lagen keine Waffen. Sie waren alle älter als Niya, und ihre Augen waren schön und dunkel und voller Entschlossenheit. Doch das Feuer brannte nicht in ihnen.
    »Dies ist ein Freund«, sagte Niya zu ihnen und wies auf Christopher. »Ich habe ihn buchstäblich aus den Pranken von Kartans Männern geklaubt, obgleich ich nicht weiß, warum sie ihn töten wollen. Im Moment ist hier bei uns der einzige Platz, an dem er sicher sein kann, dass sie es nicht noch einmal versuchen.«
    Sie wandte sich zu Christopher um und strich eine verfilzte Haarsträhne hinter ihr Ohr zurück. »Du hast mir deinen Namen nicht gesagt.«
    »Oh, äh«, sagte Christopher. Er wurde schon wieder rot und ärgerte sich darüber.
    »Christopher. Mein Name ist Christopher.«
    »Kisopa. Krisopee?« Die Frauen kicherten, und die beiden Männer verzogen ihre sonnenverbrannten Gesichter zu einem amüsierten Grinsen. »Woher kommst du, dass du einen so unaussprechlichen Namen hast?«
    »Eines Tages werde ich es euch erzählen«, antwortete er.
    Die Maoisten hatten ihr Lager in einer Ecke des Tales aufgeschlagen, die man vom Dorf aus nicht einsehen konnte – ein großer Felsen trennte den Platz vom übrigen Tal. Ihre Zelte sahen denen des Militärs verdächtig ähnlich, und Christopher schätzte, dass die Versorgungswege der Soldaten manchen Umweg machten, auf dem nicht nur Zelte abhandenkamen.
    Über einem offenen Feuer in der Mitte des Lagers kochte duftender Reis, und Niya bedeutete Christopher, sich zu setzen.
    Arne, sagte es in seinem Kopf, und blaue Augen kämpften mit schwarzen in Christophers Gedanken um den Vorrang. War Arne hier gewesen? War er noch hier? Hier, in einem der Zelte? Sein Blick suchte den Boden unsinnig nach Fußspuren ab. Fußspuren von Gummistiefeln mit lachenden Clownsgesichtern. Ein fast vergessener Herbstnachmittag kochte aus seinem Gedächtnis herauf wie heiße Milch.
    Hatte Arne an diesem Feuer gesessen? Und wie lange war das her?
    »Du bist blass, als hätte ein Farbdrache dein Gesicht abgeleckt«, sagte Niya und reichte ihm eine Schale Reis. Der Reis war rot. Aber er machte satt, und Christopher widersprach nicht, als sie ihn in eines der Zelte führte, das gänzlich leer war, und ihm eine Decke gab, damit er ein wenig schlafen konnte.
    Ehe sie ihn verließ, sah sie ihm in die Augen.
    »Bei Gelegenheit«, sagte sie, »möchte ich deine Geschichte wirklich gerne hören.«
    Und dann war sie fort. Der Stoff des Zelteingangs schwang noch ein wenig hin und her, eine Erinnerung an ihre geschmeidigen Bewegungen, und ihre Anwesenheit hing einen Moment in der Luft.
    Christopher seufzte.
    »Jumar«, fragte er, »was wird nun werden?«
    Und als Jumar antwortete, war er erstaunt über die Klarheit in seiner Stimme.
    »Ich habe mich geirrt«, sagte er.
    »Wie bitte?«
    »Du hast richtig gehört. Ich habe mich geirrt. Alles ist anders, als ich dachte. Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich tun soll. Und jetzt weiß ich es.«
    »Ja?«
    »Kannst du dich erinnern, was sie gesagt hat, auf dem Platz mit den vielen Menschen?«
    Christopher nickte. Wie hätte er es vergessen können? Jedes Wort war da in seinem Kopf, eingebrannt, verwurzelt. Nicht mehr auslöschbar.
    »Die einzige Macht, die Drachen besiegen kann und Kartan in seine Schranken weisen, ist die Macht des Königs... Doch der König hat uns vergessen. Es ist wahr, Christopher. Er hat sie vergessen. Er hat uns alle

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