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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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als du es bisher warst!«
    »Du klingst wie sie«, murmelte Christopher und drehte sich auf die andere Seite, um zu schlafen.
    Am nächsten Tag wurden sie einzelnen Übungstrupps zugeteilt; überhaupt wurde alles eingeteilt: die Zeit, die Mahlzeiten, das Schlafen, das Wachen. Der Stundenplan eines Schultages war nichts als anarchistisches Chaos dagegen. Hier gab es für jede Stunde, jede Minute des Tages einen genauen Plan. Und nie, niemals war Christopher allein. Wo immer er sich aufhielt, war da jemand, der ihn beobachtete. Nicht böswillig, nicht einmal argwöhnisch. Es war einfach immer jemand da.
    Was ihn am härtesten traf, war, dass sie von Niya getrennt wurden. Aus einem unerfindlichen Grund schliefen und aßen die Männer und Frauen hier im Basislager getrennt voneinander, trainierten getrennt voneinander und gingen getrennt voneinander den Pflichten des Alltags nach. Erst nach Tagen begriff Christopher, dass auch diese Maßnahme der Disziplin diente. Wer sich allzu sehr mit Zwischenmenschlichem beschäftigte, der hatte keinen Platz mehr in seinem Körper für das Training, das sie jeden Tag erwartete – keinen Platz mehr im Kopf, um zu lernen, was gelernt werden musste.
    Und so begann Christopher zu lernen.
    Er lernte, sein Unbehagen vor dem Gewehr beiseitezuschieben und es endlich richtig zu halten, er lernte die Lieder der Aufständischen, er lernte, was die Befehle ihrer Anführer bedeuteten, lernte, sich schnell genug danach zu drehen, zu wenden, auf den Boden zu werfen –
    Zuerst war es wie ein Spiel, und für eine Weile vergaß er seine Bedenken wieder.
    Sie standen im Morgengrauen auf und begannen, um die Stadt zu laufen, und er hörte Jumar neben sich keuchen und wusste, dass er nicht allein war. Sie entwickelten eine Art Wettbewerb darin, wer am meisten Liegestützen, Kniebeugen und Klimmzüge machen konnte, obwohl er Jumars Aussagen schlecht kontrollieren konnte, und er spürte, wie seine Muskeln auf das Training antworteten, wie sein Körper sich straffte. Abends fiel er erschöpft auf sein Lager und schlief beinahe ein, ehe er es schaffte, die Augen zu schließen. Er war stets klein und schmächtig gewesen, dachte Christopher, wenn ihm zwischendurch Zeit zum Denken blieb – aber nun würde sich das ändern. Er würde als ein anderer aus diesem Lager hervorgehen. Man würde ihn nicht mehr auslachen. Er würde sich nicht mehr auslachen lassen. Er war zäh, und er würde noch zäher werden. Jumar hatte recht gehabt: Er würde mehr er selbst sein denn je.
    Wenn er durch die Straßen lief, lauschte er auf bekannte Schritte, sah sich nach einem blonden Haarschopf um – doch er fand nie ein Zeichen von Arne. Einmal kratzte er allen Mut zusammen und fragte einen Mann, der neben ihm herlief, nach den Fremden.
    Er hätte Gerüchte gehört, sagte er und hoffte, dass seine Stimme dabei nicht zitterte.
    »Oh ja«, antwortete der Mann. »Auch ich habe Gerüchte gehört. Aber nicht mehr. Man sagt, da wären drei von ihnen, drei Fremde. Sie sind in einem anderen Teil des Lagers untergebracht. Sie werden mit uns kämpfen.«
    »Sie sind nicht... gefangen?«
    Christopher spürte den Blick des Mannes, der ihn von der Seite her musterte.
    »Gefangen? Wie sollten sie gefangen sein? Auch du bist freiwillig hier. Bist du ein Gefangener?«
    »Ich bin ein ... Diener unserer gemeinsamen Sache«, sagte Christopher, und er wählte die Worte mit Bedacht.
    Aber ein leiser Funken des Unbehagens begann, irgendwo in ihm zu glimmen.
    Es war besser, man sagte nicht alles geradeheraus, was man dachte.
    Am vierten Tag ihres Lebens im Lager ließ der große T Jumar und Christopher zu sich rufen.
    Sie saßen an einem der langen Tische und aßen mit den Übrigen zusammen, als einer seiner Männer kam, um sie zu ihm zu bringen.
    Christopher spürte die Nervosität in sich aufsteigen.
    »Sag ihm nicht, wer du bist«, flüsterte er Jumar zu. »Noch nicht.«
    »Sag nichts über Arne«, flüsterte Jumar zurück. »Noch nicht.«
    Der Mann führte sie zu einem nichtssagenden Lehmhaus in einer abgelegenen, schmalen Seitengasse: einem Haus ohne Verzierung, ohne Prunk. Niemand, der es nicht wusste, hätte geglaubt, dass von diesem Haus aus jemand die Aufständischen des ganzen Landes dirigierte wie ein lautloser Puppenspieler.
    Der Puppenspieler saß in einem vollkommen kahlen Raum im ersten Stock des Hauses.
    Das Einzige, was an der Wand hing, war ein verblichenes Foto von jemandem, den Christopher für Mao hielt, obwohl es auch jemand ganz

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