Drachen der Finsternis
keine Blume aus diesem Garten will ich missen, nicht eine einzige!‹
Da seufzte der König, denn er liebte nicht nur den Garten, sondern auch die Gärtnerin. Und die Gärtnerin schloss das Tor vor der Bitte des Mönchs. ›Meine Blume würde erfrieren in euren Höhen‹, sagte sie.
Die Diener des Palastes, die dies hörten, drängten den Mönch, die Stadt zu verlassen. ›Wenn der König sich einmal entschieden hat‹, sagten sie, ›wird nichts seinen Entschluss ändern.‹
Da wandte sich der Mönch von der Stadt ab, und statt einer Blume gedieh in seinem Herzen das dornige Gewächs des Ärgers, genährt vom Dünger der Demütigung.
Er zog sich zurück in das Kloster, aus dem er gekommen war, und dort wuchs aus seinen Fingern ein Ungeheuer mit sieben Köpfen – größer als alle Ungeheuer, von denen man bisher gehört hatte auf der Welt und fürchterlicher anzusehen als alle Gewitterstürme der Berge.
Das Ungeheuer verließ das Kloster auf schweren Pranken und wanderte hinab zur Stadt des Königs und zu seinem Garten. Und wen es mit seinem heißen Atem berührte, der fiel in einen tiefen, unlösbaren Schlaf. Bald schlief die ganze Stadt, das ganze Tal, der ganze Palast, das ganze Bergland. Die Gärtnerin im Palastgarten schlief, der König schlief, und ihr ganzer Hofstaat schlief mit ihnen. Nur einem kleinen Jungen war es gelungen, sich vor dem Ungeheuer zu verbergen. Er öffnete die Türen eines leeren Stalles und lockte das Untier mit seinen Rufen hinein, und kaum war es darin, da schloss der kleine Junge die Türen. Das Ungeheuer stieß seinen heißen, wütenden Atem in die Luft, bis der ganze Stall ausgefüllt war damit. So musste es sein eigenes Feuer atmen, bis es schließlich einschlief. Ein wenig von seinem Atem aber war durch die Ritzen des Stalles gedrungen und hatte den kleinen Jungen gestreift, der davor wartete, und so schlief auch der Junge ein. Seitdem träumt das Land in den Bergen einen endlosen Traum, und man hat nie wieder etwas von jenem Land gehört – es ist ganz und gar vom Erdboden verschwunden. Doch irgendwo in diesem Land blühen die Blumen im Garten des Königs, die die hübsche Gärtnerin herangezogen hat – sie blühen umsonst, und ihre Schönheit ist kalt, denn niemand kann sie mehr betrachten.«
Der alte Mönch nickte ein paarmal und fuhr fort damit, Kugeln aus Maisbrei in Soße zu tauchen, als hätte er eigentlich gar nichts gesagt. Christopher aber dachte bei sich, dass er die Märchen dieser Leute nicht mochte. Die alte Frau hatte recht gehabt: Sie alle gingen schlecht aus. Sie ließen ein mulmiges Gefühl in ihm zurück. Es war, als steckte ein Körnchen Wahrheit in jenen Märchen.
Als sie die Mönche am nächsten Morgen verließen, dachte er noch lange an all die Farben zurück, zwischen denen sie lebten und beteten – und daran, wie merkwürdig es war, dass die Drachen sie noch nicht entdeckt hatten.
Sie waren noch nicht ganz außer Sichtweite des Klosters, als zwei Reiter aus dem Nichts auftauchten – oder so schien es – und auf sie zugaloppierten. Zuerst erschrak Christopher, doch die Reiter trugen die tarngrüne, abgewetzte Kluft der Aufständischen, und er sah das Leuchten in Niyas Augen.
»Jetzt hat das Warten ein Ende«, sagte sie und hielt ihre Männer an. Sie saß ab, legte die Hände zum Gruß zusammen und verneigte sich tief, als die Reiter bei ihnen waren.
Und alle Übrigen taten es ihr gleich.
Doch die beiden Männer warfen ungeduldig die Köpfe mit den grünen Kappen zurück und schnalzten mit der Zunge.
»Keine Zeit für Förmlichkeiten«, sagte der eine. Und der andere fügte hinzu: »Steigt wieder auf eure Pferde, und folgt uns.«
Und das taten sie.
Die Männer ritten voran quer durch niedriges, dorniges Gestrüpp, sie folgten keinem Pfad. Wenig später führten sie den Trupp steil aufwärts, schließlich durch ein Nadelöhr aus hohen Felsen – und dann lag es vor ihnen, an einer Stelle, wo niemand es jemals finden würde: das Basislager.
Aber es war kein Lager. Es war eine Stadt.
Eine Stadt, die aussah, als wäre sie geschmolzen. Als entstammte sie einem Bild von Dali. Arne hatte ein Bild von Dali über seinem Bett hängen, ein Blatt aus einem Kalender. Beinahe suchte Christopher die unvermeidlichen zerfließenden Uhren –# Natürlich waren da keine zerfließenden Uhren. Die Zeit in der geschmolzenen Stadt ging ihre eigenen Wege, und er sollte es bald lernen.
»Was für ein merkwürdiger Ort«, wisperte Christopher. »Es ist, als
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