Drachenauge
diesen Beschluss informieren und dafür sorgen, dass er Bitra verlässt«, meinte Paulin.
»Ist das alles?«, wunderte sich Gallian. »Gibt es keine weitere Verhandlung mehr?«
»Die Verhandlung hat soeben stattgefunden«, erklärte Paulin. »Er wurde von seinesgleichen schuldig gesprochen.«
»Das hat es noch nie gegeben, dass Drachenreiter
einen Burgherrn deportieren«, äußerte S'nan.
Aller Augen richteten sich auf den Weyrführer von
Fort.
»Bis jetzt hat es auch noch kein Amtsenthebungsverfahren gegen einen Burgherrn gegeben, S'nan«, hielt M'shall ihm entgegen. »Seit diese Klausel vor ungefähr zweihundertundfünfzig Jahren niedergeschrieben wurde, findet sie am heutigen Tag zum ersten Mal Anwendung. Allerdings bin ich der Auffassung, dass Drachenreiter dabei sein müssen, wenn man Chalkin aus seiner Festung entfernt. Verflixt noch mal, S'nan, einer der Gründe für seine Verurteilung ist doch seine Weige-314
rung, Bitra auf den Fädenfall vorzubereiten. Damit hat er uns Drachenreitern direkt geschadet, denn uns obliegt es, die Menschen vor dieser Plage zu schützen, nur sind wir auf die aktive Mithilfe der Nicht-Reiter angewiesen. Notfalls zerre ich Chalkin eigenhändig aus seiner Burg, wenn es nicht anders geht.«
Irene, die neben im saß, nickte zur Bekräftigung und funkelte S'nan wütend an. Sarai, S'nans Weyrherrin, reagierte empört auf Irenes verdeckten Tadel.
»Man muss ihn überrumpeln, andernfalls stiehlt er
sich auf irgendeinem Schleichweg aus seiner Burg, die mehr Ausgänge besitzt als ein Labyrinth von Tunnel-schlangen«, schlug Irene vor. »Wer weiß, was er dann anstellt. Leider kenne ich mich in seiner Festung zu wenig aus, um auch nur erahnen zu können, welche Fluchtmöglichkeiten er sich offen hält – nur für alle Fäl-le. Außerdem ist er ständig von Leibwachen umgeben.
Was sagen Sie dazu, Franco?«
»Wie bitte?« Nervös blinzelte der Burgherr von Nerat mit den Augen. »Ich kann da auch nicht weiterhelfen.
Wenn ich in Bitra weilte, hielt ich mich nur in den Empfangsräumen auf, obwohl Nadona meine Schwester ist.«
»Sonderbar«, kommentierte Bastom.
»Und was machen wir mit ihm, wenn wir seiner hab—
haft werden?«, erkundigte sich Franco. »Wer tritt seine Nachfolge an? Seine Kinder sind noch sehr jung.«
»Dieser Onkel, Vergerin …«, begann Paulin.
»Wie wäre es mit einer Regentschaft, bis die Kinder volljährig sind?«, gab Azury zu bedenken.
»Man könnte auch einen tüchtigen jüngeren Sohn aus
einer wohlgeführten Burg als Stellvertreter einsetzen«, schlug Richud von Ista mit leuchtenden Augen vor.
»Jedenfalls wissen wir, dass die Sippschaft, aus der die Chalkin-Brut stammt, samt und sonders dem Glücksspiel verfallen ist«, meinte Bridgely.
»Dieser Zug lässt sich durch eine strenge Disziplin 315
und eine gute Erziehung ausmerzen«, behauptete Salda von Telgar. »Was man sät, wird man auch ernten.«
»Vergerin …«, nahm Paulin einen neuen Anlauf, wobei er die Stimme hob, um sich in dem allgemeinen Tumult verständlich zu machen.
» Der? Der hat sein Recht auf Nachfolge doch verspielt«, erklärte Sarai vom Fort-Weyr in unnachgiebi-gem Ton.
»Chalkin hat ihn betrogen …«, stellte M'shall fest. »Er trickst immer, wenn es um hohe Einsätze geht.«
Irene sah ihn nachdenklich an.
»Das hat man mir erzählt«, bekräftigte M'shall.
»Vergerin«, brüllte Paulin so laut, dass alle erschrocken schwiegen, »muss als Erster berücksichtigt werden, da er derselben Blutslinie entstammt. Das verlangt die Verfassung, die ich peinlich genau zu befolgen ge-denke. Leider wohnt er nicht mehr auf dem Anwesen, wohin er sich seit jenem fatalen Glücksspiel mit Chalkin in aller Stille zurückgezogen hatte.«
»Wo mag er sein?«
»Ob Chalkin dahintersteckt?«
»Inwiefern? Was könnte er …«
»Vergerin wurde von seinem Bruder in der Leitung
einer Burg unterwiesen«, fuhr Paulin fort. »Und wie jeder weiß, war Kinver ein fähiger und gerechter Burgherr.«
»Aber spielsüchtig war er auch«, warf Irene ein.
»Solange er nur kein Falschspieler war!«, entgegnete M'shall und bedachte seine Weyrgefährtin mit einem ernsten Blick.
»Ich glaube, wir alle sind uns darin einig, das die durch die Verfassung festgesetzte Erbfolgeklausel maß-
geblich ist, die da lautet, dass Blutsverwandten der Vortritt gelassen werden muss«, übertönte Paulin das erregte Stimmengewirr. »Wenn wir Vergerin finden …«
»Und wenn er die Leitung von Bitra
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